Es ist eine unausweichliche Tatsache, dass wir alle eines Tages sterben werden. Es ist uns nicht möglich, dem Tod zu entkommen, noch ihn zu täuschen – selbst wenn wir einen starken Lebenswillen an den Tag legen. Es ist uns bewusst, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist, dennoch agieren und existieren die meisten Menschen nicht entsprechend dieser Tatsache. Es existiert immer ein später Zeitpunkt, ein Morgen, eine nächste Woche oder ein nächstes Jahr. Die Erledigung unangenehmer Aufgaben wird gerne aufgeschoben. Wenn das Leben zu Ende geht, gibt es stets Aspekte, die bedauert werden. Es werden viele Gedanken geäußert, wie zum Beispiel: "Hätte ich doch, oder warum habe ich nicht?" oder "Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte". Doch diese Gedanken sind vergebens, wenn wir uns auf dem Vorposten des Friedhofs wiederfinden.
Welche Konsequenzen hätte es, wenn wir über die Kenntnis unserer eigenen Sterbedaten verfügten? Würden wir eine radikale Änderung unseres Lebens in Erwägung ziehen oder dieser Prophezeiung keinen Glauben schenken und sie ignorieren? Ungeachtet dessen wäre dieses Wissen für uns von Einfluss, sei es bewusst oder unbewusst, und würde uns in höchste Sorge versetzen. Es ist durchaus vorstellbar, dass wir uns für unsterblich halten würden, wenn wir im Alter von 30 Jahren die Kenntnis darüber erhielten, dass wir 70 Jahre später an Altersschwäche versterben werden. Wir möchten das Leben in vollen Zügen genießen und uns vielleicht zu Extremsportarten verleiten lassen, in dem Bewusstsein, dass uns nichts passieren kann.
Liane Moriarty beschreibt diese Thematik in ihrem gerade veröffentlichten Buch: „Vorsehung“.
Es ist ein ganz gewöhnlicher Flug nach Sydney – bis kurz vor der Landung eine alte Lady von ihrem Platz aufsteht. Langsam geht sie durch die Reihen, bleibt bei jedem einzelnen Passagier stehen und sagt schreckliche Dinge wie: »Dich erwartet einen tödlichen Arbeitsunfall mit 43«, »Dich erwartet Pankreaskrebs mit 66« oder »Dich erwartet Tod durch Ertrinken mit 7«.
Ist sie eine Hellseherin? Oder eine Verrückte? Was, wenn ihre Prophezeiungen tatsächlich eintreffen? Für alle Fluggäste stellen sich ab diesem Moment dieselben existentiellen Fragen: Gibt es ein Schicksal, und was wäre, wenn wir es verändern könnten? Was würde geschehen, wenn wir anfangen würden, unsere Träume tatsächlich zu verwirklichen?
Ob die Death Lady nun ein magisches Geheimnis hat oder nur die Statistik auf ihrer Seite – das Leben der Passagiere gerät bald auf völlig unerwartete Weise für immer aus den Fugen …(Verlagsinfo)
In der Konsequenz ist diese ältere Dame zur Todesdame geworden und zu einer Agentin des Chaos.
Es steht die Frage im Raum, ob es sich bei der Person um eine wirkliche Todesprophetin handelt oder um eine durchgeknallte Mathematikerin, die sich in den Algorithmen von Wahrscheinlichkeiten und Statistiken wohlfühlt. Die Beantwortung dieser Frage erfolgt schließlich im Rahmen der Schlussfolgerungen des Romans.
Bis zu diesem Zeitpunkt fokussiert sich die Handlung auf die Passagiere des Schicksalsfluges, die sich entweder dem Tod entziehen oder ihn ignorieren. Das Leben der Protagonisten ist durch ein komplexes Chaos und eine Vielzahl von Ausweichmanövern gekennzeichnet, und die Lebensplanung hat sich grundlegend verändert.
Der Roman "Vorsehung" hätte das Potenzial gehabt, ein herausragendes literarisches Werk zu werden. Aus philosophischer Perspektive könnte man in diesem Kontext eine Vielzahl an tiefgründigen Narrativen entwickeln. Der vorliegende Roman zeichnet sich durch eine Überfrachtung mit sinnlosen Szenen, Dialogen und Beschreibungen aus, was die Spannung und den Unterhaltungswert des Werks erheblich mindert. Die Relevanz von Nebengeschichten und Nebenfiguren für die Tiefgründigkeit eines Romans wird dabei deutlich. Im vorliegenden Fall manifestiert sich jedoch das Phänomen, dass die Nebengeschichte das gesamte Werk als uninteressant erscheinen lässt.
Die zahlreichen privaten Rückblenden in die Vergangenheit der Todesdame sind jedoch als inakzeptabel zu betrachten. Die Charaktertiefe der Figuren bleibt dabei unangemessen flach und nach jedem Kapitel stellt sich eine gewisse Ratlosigkeit hinsichtlich der weiteren Handlung ein. Diese Analyse trifft gleichermaßen auf die weiteren "Erlebnis-/Überlebensgeschichten der Protagonisten" zu.
Selten wurde eine Geschichte mit derart viel Potenzial für eine ansprechende Erzählung verspielt oder überfrachtet dargestellt. Das Tempo der Handlung erzeugt keine Spannung, sondern lediglich eine gedämpfte Atmosphäre. Ebenso bleibt der Humor, sei er nun intelligent oder emotional, weitgehend aus.
Es sei an dieser Stelle auf den Umstand verwiesen, dass der Begriff "Emotional" im Kontext meteorologischer Vorhersagen eine größere emotionale Wirkung erzielt als der Begriff "Vorsehung".
Fazit
Zeitverschwendung – eine großartige Idee, deren Chancen ignoriert wurden. Trivial, überflüssig und überfrachtet und schlicht und einfach nicht unterhaltsam und zu keinem Zeitpunkt spannend. Nicht zu empfehlen.
Michael Sterzik