Donnerstag, 5. Juni 2025

Vorsehung - Liane Moriarty


Es ist eine unausweichliche Tatsache, dass wir alle eines Tages sterben werden. Es ist uns nicht möglich, dem Tod zu entkommen, noch ihn zu täuschen – selbst wenn wir einen starken Lebenswillen an den Tag legen. Es ist uns bewusst, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist, dennoch agieren und existieren die meisten Menschen nicht entsprechend dieser Tatsache. Es existiert immer ein später Zeitpunkt, ein Morgen, eine nächste Woche oder ein nächstes Jahr. Die Erledigung unangenehmer Aufgaben wird gerne aufgeschoben. Wenn das Leben zu Ende geht, gibt es stets Aspekte, die bedauert werden. Es werden viele Gedanken geäußert, wie zum Beispiel: "Hätte ich doch, oder warum habe ich nicht?" oder "Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte". Doch diese Gedanken sind vergebens, wenn wir uns auf dem Vorposten des Friedhofs wiederfinden.

Welche Konsequenzen hätte es, wenn wir über die Kenntnis unserer eigenen Sterbedaten verfügten? Würden wir eine radikale Änderung unseres Lebens in Erwägung ziehen oder dieser Prophezeiung keinen Glauben schenken und sie ignorieren? Ungeachtet dessen wäre dieses Wissen für uns von Einfluss, sei es bewusst oder unbewusst, und würde uns in höchste Sorge versetzen. Es ist durchaus vorstellbar, dass wir uns für unsterblich halten würden, wenn wir im Alter von 30 Jahren die Kenntnis darüber erhielten, dass wir 70 Jahre später an Altersschwäche versterben werden. Wir möchten das Leben in vollen Zügen genießen und uns vielleicht zu Extremsportarten verleiten lassen, in dem Bewusstsein, dass uns nichts passieren kann.

Liane Moriarty beschreibt diese Thematik in ihrem gerade veröffentlichten Buch: „Vorsehung“. 

Es ist ein ganz gewöhnlicher Flug nach Sydney – bis kurz vor der Landung eine alte Lady von ihrem Platz aufsteht. Langsam geht sie durch die Reihen, bleibt bei jedem einzelnen Passagier stehen und sagt schreckliche Dinge wie: »Dich erwartet einen tödlichen Arbeitsunfall mit 43«, »Dich erwartet Pankreaskrebs mit 66« oder »Dich erwartet Tod durch Ertrinken mit 7«.

Ist sie eine Hellseherin? Oder eine Verrückte? Was, wenn ihre Prophezeiungen tatsächlich eintreffen? Für alle Fluggäste stellen sich ab diesem Moment dieselben existentiellen Fragen: Gibt es ein Schicksal, und was wäre, wenn wir es verändern könnten? Was würde geschehen, wenn wir anfangen würden, unsere Träume tatsächlich zu verwirklichen?

Ob die Death Lady nun ein magisches Geheimnis hat oder nur die Statistik auf ihrer Seite – das Leben der Passagiere gerät bald auf völlig unerwartete Weise für immer aus den Fugen …(Verlagsinfo) 

In der Konsequenz ist diese ältere Dame zur Todesdame geworden und zu einer Agentin des Chaos.

Es steht die Frage im Raum, ob es sich bei der Person um eine wirkliche Todesprophetin handelt oder um eine durchgeknallte Mathematikerin, die sich in den Algorithmen von Wahrscheinlichkeiten und Statistiken wohlfühlt. Die Beantwortung dieser Frage erfolgt schließlich im Rahmen der Schlussfolgerungen des Romans.

Bis zu diesem Zeitpunkt fokussiert sich die Handlung auf die Passagiere des Schicksalsfluges, die sich entweder dem Tod entziehen oder ihn ignorieren. Das Leben der Protagonisten ist durch ein komplexes Chaos und eine Vielzahl von Ausweichmanövern gekennzeichnet, und die Lebensplanung hat sich grundlegend verändert.

Der Roman "Vorsehung" hätte das Potenzial gehabt, ein herausragendes literarisches Werk zu werden. Aus philosophischer Perspektive könnte man in diesem Kontext eine Vielzahl an tiefgründigen Narrativen entwickeln. Der vorliegende Roman zeichnet sich durch eine Überfrachtung mit sinnlosen Szenen, Dialogen und Beschreibungen aus, was die Spannung und den Unterhaltungswert des Werks erheblich mindert. Die Relevanz von Nebengeschichten und Nebenfiguren für die Tiefgründigkeit eines Romans wird dabei deutlich. Im vorliegenden Fall manifestiert sich jedoch das Phänomen, dass die Nebengeschichte das gesamte Werk als uninteressant erscheinen lässt.

Die zahlreichen privaten Rückblenden in die Vergangenheit der Todesdame sind jedoch als inakzeptabel zu betrachten. Die Charaktertiefe der Figuren bleibt dabei unangemessen flach und nach jedem Kapitel stellt sich eine gewisse Ratlosigkeit hinsichtlich der weiteren Handlung ein. Diese Analyse trifft gleichermaßen auf die weiteren "Erlebnis-/Überlebensgeschichten der Protagonisten" zu.

Selten wurde eine Geschichte mit derart viel Potenzial für eine ansprechende Erzählung verspielt oder überfrachtet dargestellt. Das Tempo der Handlung erzeugt keine Spannung, sondern lediglich eine gedämpfte Atmosphäre. Ebenso bleibt der Humor, sei er nun intelligent oder emotional, weitgehend aus.

Es sei an dieser Stelle auf den Umstand verwiesen, dass der Begriff "Emotional" im Kontext meteorologischer Vorhersagen eine größere emotionale Wirkung erzielt als der Begriff "Vorsehung".

Fazit

Zeitverschwendung – eine großartige Idee, deren Chancen ignoriert wurden. Trivial, überflüssig und überfrachtet und schlicht und einfach nicht unterhaltsam und zu keinem Zeitpunkt spannend. Nicht zu empfehlen. 

Michael Sterzik

Mittwoch, 4. Juni 2025

Historische Waffen und Rüstungen – Liliane und Fred Funcken


Das Mittelalter stellt eine Besonderheit in der Geschichte der Menschheit dar. Es ist eine Epoche, die bis heute das Interesse der Menschen weckt und die oft romantisch verklärt wird, obwohl sie von Gewalt geprägt war. Die Bezeichnung "dunkles Mittelalter" ist zwar geläufig, jedoch ist diese Einstufung als zu eindimensional zu betrachten. In Film und Fernsehen, in Reportagen sowie in Blockbuster-Filmen präsentieren die Ausstatterinnen und Ausstatter der Filme gerne eine Vielzahl an Rüstungen und Waffen sowie Kleidungsstücken mit Verzierungen. Einiges davon wurde nicht einmal in einer falschen Weise dargestellt oder in historischen Romanen überzeichnet beschrieben, doch vieles entspricht dennoch nicht den Tatsachen.

Es stellt sich die Frage, ob eine mittelalterliche Rüstung tatsächlich in der Lage war, einen gut geführten Schwertstreich zu widerstehen oder einen abgeschossenen Pfeil abprallen zu lassen. Dies ist die Ursache für die Entstehung von Legenden, Missverständnissen und Vorurteilen.

Die moderne Wissenschaft, insbesondere der Bereich der Schlachtfeldarchäologie, ermöglicht uns einen faszinierenden Einblick in die Welt der waffenstarrenden Ritter und Soldaten. Obwohl sich ihre Bewaffnung und Kleidung in Europa zum Teil sehr ähnlich waren, wiesen sie doch auch zahlreiche individuelle Merkmale auf.

Dieses prachtvoll illustrierte Handbuch ist einem faszinierenden Kapitel der europäischen Geschichte gewidmet: dem Rittertum des Mittelalters. Auf 150 Tafeln wird das feudale Kriegswesen des 8. bis 16. Jahrhunderts mit all seinen Facetten und in seiner ganzen Vielfalt präsentiert – von der Tracht, Rüstung und Bewaffnung der Ritter und Landsknechte bis hin zum Aufbau der Burganlagen und der Taktik von Infanterie und Artillerie.(Verlagsinfo) 

Das Buch "Historische Waffen und Rüstungen – Ritter und Landsknechte vom frühen Mittelalter bis zur Renaissance" hat sich zu einem Standardwerk entwickelt. In diesem Band wird ein umfassender Überblick über die Bewaffnung von Kriegern über acht Jahrhunderte hinweg gegeben. Geschichtsstudierende, Cineasten und an der Welt der Literatur interessierte Personen erhalten auf diese Weise einen wertvollen Einblick in die Thematik. Es existieren zahlreiche gezeichnete Illustrationen, die die Entwicklung der Waffen und Rüstungen äußerst detailreich darstellen.

Es existieren zahlreiche Beschreibungen, die sich unter anderem mit der Herstellung und Verwendung dieser Waffen befassen. Darüber hinaus werden auch Nebengeschichten und Erklärungen zur Strategie und Taktik des Einsatzes von Kurz- und Langwaffen dargelegt. Zu den erwähnten Waffen zählen der englische Langbogen, die effektive Armbrust sowie die ersten Feuerwaffen und Kanonen.

Das mittelalterliche Kriegswesen manifestiert sich hier in einer eindrucksvollen Form. Bei Betrachtung der erwähnten Waffen und Rüstungen gebührt den Schmieden, welche diese Gegenstände erschaffen, hoher Respekt. Derartige Handwerkskunst lässt vieles in den Schatten treten und präsentiert die Waffentechnologie der vergangenen Jahrhunderte aus einer vollkommen neuen Perspektive.

Fazit

Die vorliegende Publikation präsentiert Kriegskunst in Form eines bebilderten Kunstwerks. Die zahlreichen Details und Beschreibungen vermitteln dem Leser eine historische Perspektive, mit der er sich unterhaltsam beschäftigen kann.

Michael Sterzik

Dienstag, 3. Juni 2025

Geisterphänomene - Frank Fabian


In jeder Kultur, in jedem Volk und auf jedem Kontinent gibt es gruselige Geister- und Gespenstergeschichten. Augenzeugenberichte, Legenden und Überlieferungen: Vieles davon lässt sich wissenschaftlich erklären, aber nicht alles. Solche paranormalen Ereignisse sind eine Grenzwissenschaft, die wir uns nicht erklären können.

Ist es schierer Aberglaube oder der Wunsch, Aufmerksamkeit zu erlangen? Vielleicht ist unser Geist, unser Verstand, noch nicht bereit zu verstehen, dass es andere Dimensionen gibt oder dass die „Seele“ eines Menschen über den Tod hinaus besteht? Diese Fragen werden wir nicht final beantworten können.

Der Autor Frank Fabian gibt uns einen kurzen, aber sehr prägnanten Eindruck mit seinem Buch: „Geisterphänomene“.

Vorgestellt werden die unterhaltsamsten Storys über Geister, Gespenster, Dämonen und Engel in den verschiedenen Kulturen. Sie geben zu wohligem Gruseln Anlass, verschaffen aber ebenso einen Einblick in verschiedene Religionen und Einsichten über den Geist und die Seele. (Verlagsinfo) 

Der Aberglaube ist vermutlich ebenso unsterblich wie unsere Seele. Die paranormale Welt fasziniert uns, seit es Menschen gibt. Wir würden schon gerne einen Blick hinter den Spiegel unserer stofflichen, materiellen Welt werfen – nur um zu verstehen und immer mit der kleinen Hoffnung, den Tod doch zu überleben. Aberglaube hat auch immer etwas mit Religion zu tun. Diese Phänomene sind in allen Kulturen und Religionen beheimatet: Engel und Dämonen, Gott und der Antichrist, Offenbarungen und Prophezeiungen, aber auch einfache Geister und Gespenster spuken durch Literatur und andere Medien.

Frank Fabin lädt uns ein, einen spannenden Blick auf diese Phänomene zu werfen. In verschiedenen, kurzen Geschichten erklärt er uns diese Ereignisse, die faktisch und wissenschaftlich interpretiert werden können. Man mag über diese Geschichten schmunzeln oder die Stirn runzeln, sich vielleicht auch mal erschrecken, aber informativ und unterhaltsam ist das Buch so oder so.

Magie und Spiritismus – auch hier finden sich kurzweilige Geschichten, die nicht bierernst und nüchtern erzählt werden. Das Buch wird niemanden davon überzeugen, dass es zwischen Himmel und Hölle noch andere Parallelwelten gibt. Auch werden diese Geschichten nicht als purer Schabernack erklärt. Das Ziel des Buches ist es, diese meist historischen Geschichten aus der Sicht der Wissenschaft lebhaft und geistreich zu erzählen.

Fazit

Das kleine 1x1 der paranormalen Wesen und Ereignisse. Spannend, informativ und unterhaltsam, dazu noch geistreich und flott erzählt. 

Michael Sterzik

Mittwoch, 28. Mai 2025

Echokammer – Ingar Johnsrud


Zeitenwende – das ist ein großes Wort. Aber die Botschaft ist brisant. Sie zeigt uns, dass unsere Welt inzwischen bedrohlich nah daran ist, durch uns selbst zerstört zu werden. Und das passiert jeden Tag. Klimakatastrophen, Krisen und Kriege in Europa – also in der unmittelbaren Nachbarschaft – und hohe Energiekosten sind nur einige der Probleme.

Und dann gibt's noch Regierungen, die sich immer mehr dem Rechtsdruck beugen, mit denen sie zusammenarbeiten oder die sie gerade aktiv bekämpfen. Unser Portfolio ist echt breit gefächert – aber eines ist uns allen klar. Unsere Gesellschaft ist gespalten, und zwar nicht nur zwischen Arm und Reich, sondern auch in Bezug auf die lauten und stummen Schreie nach Frieden, Freiheit und Entfaltung. Und diese stehen im Konflikt mit der Migration von Flüchtigen, die sich in Europa einen Neuanfang wünschen. Der Nationale Gedanke ist jetzt für viele Menschen ein wichtiges Thema – neben den anderen Krisenthemen.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Geschichte sich wiederholen kann und dass andere europäische Länder vor ähnlichen Herausforderungen stehen. In Bezug auf Politik, Kultur, Gesellschaft, Soziales und Militär. An jeder Ecke lauert eine Krise, flankiert von dem Geiste eines neuen, alles vernichtenden Krieges.

Der norwegische Journalist und Autor Ingar Johnsrud hat einen Politthriller verfasst, der in Norwegen spielt, jedoch zahlreiche Parallelen zu anderen europäischen Ländern aufweist.

Während die Wahl des norwegischen Parlaments immer näher rückt, herrscht bei der Terrorabwehr höchste Alarmbereitschaft: Es gibt Hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag. Im Verdacht steht eine Gruppe rechtsnationaler Extremisten, die im Besitz einer großen Menge Rizin sein sollen. Doch was genau haben die Terroristen damit vor? 

Die Anti-Terror-Ermittler Liselott Benjamin und Martin Tong versuchen fieberhaft, den Anschlag zu vereiteln. Währenddessen geht der Wahlkampf in die heiße Phase. Die Spitzenkandidatin der Arbeiterpartei sieht sich auf der Zielgeraden zur Machtübernahme – und nimmt dafür zunehmend zweifelhafte Mittel in Kauf.

Mittendrin: Jens Meidell, ihr juristischer Berater. Je tiefer er sich in die politischen Ränkespiele verstrickt, umso mehr gerät er mit dem Rücken zur Wand: Wie weit ist er bereit zu gehen: um der Partei zurück an die Macht zu verhelfen? Um die Demokratie vor rechten Umsturzplänen zu retten? Und vor allem: um seine eigenen dunklen Geheimnisse ein für alle Mal zu begraben? (Verlagsinfo) 

"Echokammer" ist der literarische Spagat zwischen einem Spannungsroman, der den rechtsextremen Terrorismus thematisiert, und einem soliden Politthriller, der die norwegische Parlamentswahl zu einem Intriganten-Machtkampf macht.

Der Autor spielt gekonnt mit einer Vielzahl von komplexen Themen. Wenn Machtspiele und Manipulationen in einem Wahlkampf eine Rolle spielen, rechtsextreme Ideologie zum Vorschein kommt oder eine terroristische Bedrohung besteht, sind alle gesellschaftlichen Bühnen und deren Erwartungshaltung involviert. Das anfänglich gedrosselte Tempo in den beiden Erzählsträngen könnte auf den ersten Blick langatmig erscheinen.

Allerdings entpuppen sich diese kleineren und größeren Nebenhandlungen als deutlich vielseitiger, als man anfänglich annimmt. Sobald sich die beiden verflechten, wird das Tempo fixer, die Spannung steigt stetig an und erreicht am Ende ein fulminantes Finale, das authentisch und überraschend ist.

Die Figurenbesetzung ist überschaubar und fokussiert sich auf den etwas älteren Experten für Terrorismus, der etwas von einem Antihelden vorweist. Martin Tong hat eine nicht ganz saubere Vergangenheit, ein Alkoholproblem und noch andere Herausforderungen. Er ist ein sympathischer, aber auch egozentrischer Ermittler und Mensch. Liselott Benjamin spielt den ruhenden Pol in diesem ungleichen Duo, auch wenn man über sie nicht so viel erfährt.

Auch wenn auf dem Cover steht „Echokammer“ sei der beste norwegische Thriller seiner Zeit, ist das sehr ambitioniert. Die Wahrheit ist wohl eher, er ist einer der besten Romane der letzten Jahre, wenn es darum geht gesellschaftliche und politische Themen, mit einer sozialkritischen Komponente spannend zu vermengen. 

Ich erwarte, dass diese Mischung in den nächsten beiden Titeln fortgeführt wird. Die Handlung ist authentisch, intelligent und führt uns vor Augen, in welcher Bedrohungslage wir uns aktuell befinden.

Fazit

„Echokammer“ ist so laut und spannend, dass es ein Fehler ist, diesen Roman nicht zu lesen. Intelligente Spannung – tolle Figuren und brisante Themen lassen es nicht zu, dass hier Langeweile aufkommt. Prädikat: Pageturner und damit eine unbedingte Leseempfehlung. 

Michael Sterzik

Dienstag, 20. Mai 2025

Das Herz von Auschwitz – Eine wahre Geschichte um Liebe und Überleben - Darcy Lee

 


„Nie wieder ist jetzt!“ Diese schreckliche Zeit des Nationalsozialismus und dessen mörderische Verbrechen dürfen weder kleingeredet noch in Vergessenheit geraten. Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen, die persönlich von ihrem Überleben und den Schrecken erzählen können, die sie erlebt haben. Ihre Stimmen werden verstummen, aber sie hinterlassen ein nachhaltiges Echo, das uns, wie die Schriftstellerin und Holocaust-Überlebende Margot Friedländer sagt, immer wieder mahnt: „Seid Menschen“.

Die Schrecken der Konzentrationslager – Auschwitz ist ein Symbol und Synonym für eine Maschinerie des Todes, für Mord und medizinische Experimente sowie das willkürliche Töten von Menschen, die anders denken und leben. Es ist an der Zeit, gegen rechtsextreme Parteien und Vereinigungen aufzustehen und aufzubegehren, die politische und soziale Hetze betreiben, um unsere Demokratie zu destabilisieren.

Die Rekonstruktion der schrecklichen Erlebnisse der Betroffenen erfolgt auf Basis von historischen Tagebüchern, Fotografien und Briefen, die von Verwandten gefunden wurden, sowie durch Gespräche mit Überlebenden. Es besteht jedoch weiterhin die Frage, inwiefern die Fakten der Realität entsprechen und in welchem Ausmaß der Autor schriftstellerische Freiheiten in Anspruch genommen hat, um die Geschichte zu ergänzen oder sie frei zu interpretieren, wobei der Leitgedanke "So könnte es gewesen sein" als Orientierung diente.

Als Darcy Lee in einem alten Kleiderschrank auf eine mysteriöse Kiste stößt und darin Bilder und Briefe ihrer Großeltern, beide Überlebende des Holocaust, findet, beschließt sie, dass die Geschichte von Genie und Feliks nicht in Vergessenheit geraten darf. Also beschreibt sie Genies Angst, als diese ihre Heimat Krakau verlassen muss und im Deportationszug in eine ungewisse Zukunft rollt, und berichtet vom Schrecken Auschwitz-Birkenaus.

Aber auch davon, wie man selbst an den dunkelsten Orten Licht finden kann, erzählt Darcy: Feliks, der nach Dachau deportiert wurde, schnitzt Genie als Symbol seiner unerschütterlichen Liebe ein Herz aus dem Leder seines Schuhs, welches Genie auf verschlungenen Wegen erreicht. Für beide steht fest: Sie müssen für den anderen am Leben bleiben – Tag für Tag.

80 Jahre nach Kriegsende erfahren Antisemitismus, Rassismus und Populismus alarmierenden Zuwachs. Die bewegende Geschichte von Genie und Feliks erinnert uns eindrücklich: Nie wieder ist jetzt! (Verlagsinfo) 

Es handelt sich bei dem vorliegenden Buch zweifellos um einen Roman, jedoch keinesfalls um ein Sachbuch. Es ist das Zeugnis zweier Menschen, die schreckliche Erfahrungen machen mussten. Doch kann ein Roman mit einer Vielzahl von Dialogen, die erhalten geblieben sein sollen, tatsächlich als authentisch betrachtet werden? In der Kiste befanden sich lediglich Bilder und Briefe, jedoch keine Tagebucheintragungen. Zudem existieren keine weiteren Quellen. Auch im Nachwort bleiben viele Fragen unbeantwortet.

Ich möchte an dieser Stelle nicht die "Wahrheit" dieser Liebe und des Überlebens in Frage stellen. Nichtsdestotrotz stelle ich mir die Frage, inwiefern der fiktive Anteil dieses Buches überwiegt. Die intensive und emotionale Geschichte, die die Autorin in ihrem Werk präsentiert, lässt die Frage aufkommen, welche Quellen sie für die Erschaffung dieses außergewöhnlichen Stoffes genutzt hat.

Geschichte muss lebendig sein. Sie muss in den Verstand und in das Herz der Leser katapultiert werden. Gerade dann, wenn sich die Geschichte wiederholen könnte.

Bei diesem Buch stelle ich allerdings nicht die "Wahrheit" und den erlebten Schrecken in Frage – nur die erzählten Details, Dialoge und Empfindungen sind für mich nicht realistisch. Die Autorin hätte ein Sachbuch verfassen sollen – mit Fotos, den Auszug realistischer Eintragungen und vielen Quellenangaben. In dem vorliegenden Buch finden Sie auf dem innenliegenden Covern einige Fotos und am Ende eine Auflistung der Familienangehörigen mit Angaben zu deren Überleben oder Nicht-Überleben des Holocausts.

Ich erwarte mehr, und das ist mir viel zu wenig. Die Autorin sollte ihre Tantiemen an diesem Buch an gemeinnützige Organisationen spenden. Wenn sie das nicht tut, muss ich mich fragen, ob man Geld mit einem durchschnittlichen Buch verdienen muss, das mehr Fragen als Antworten aufwirft.

Das Buch ist emotional, traurig und unfassbar nachdenklich. Es rüttelt unsere Gedanken durch. Der Tagesablauf ist nichts Neues, der Schrecken und die Beschreibungen von Auschwitz auch nicht. Die Charaktere sind eindimensional gezeichnet und überzeugen emotional nicht. Ich bin definitiv voreingenommen, denn ich habe unzählige solcher Erlebnisberichte in den letzten 30 Jahren gelesen. Dieser hier ist definitiv nicht eines der besseren Bücher, die es gibt. Er ist vielmehr ein typisches Beispiel für die Bücher dieser Zeit, die ich nicht empfehlen kann.

Fazit

Die Inszenierung zeichnet sich durch eine emotionale Überzeichnung aus, wobei die Charaktere blass bleiben und es an Hintergrundinformationen mangelt. Dies resultiert in einem faden Geschmack, da die freie Interpretation die Fakten in den Hintergrund drängt.

Michael Sterzik

Freitag, 16. Mai 2025

Ein ungezähmtes Tier- Joël Dicker


Jeder Mensch hat Instinkte, Triebe und eine ungezähmte Seite in sich. Wir können sie bis zu einem gewissen Zeitpunkt oder einem Ereignis kontrollieren. Wir alle "brennen" für etwas – leben, arbeiten, lieben für irgendjemanden, für irgendetwas oder am besten für uns selbst. Es ist egal, ob es sich um ein Hobby, die Arbeit, eine ehrenamtliche Position oder eine Sportart handelt – wir riskieren unser Leben. Ein gewisser Nervenkitzel kann definitiv belebend sein, aber man muss sich auch im Klaren darüber sein, dass dieses Risiko manchmal unberechenbar ist.

Diese Triebe sind im Grunde unbezähmbar. Wenn wir diese Emotionen unterdrücken, dann verhalten wir uns unberechenbarer, sind gereizter und in jedem Fall haben wir womöglich schlechte Laune. Und die Menschen in unserem Umfeld merken dann sehr schnell, dass irgendetwas anders ist.

Der Schweizer Erfolgsautor Joël Dicker hat das "Ungezähmte" in seinem neuen Roman auf den Punkt gebracht!

2. Juli 2022: In Genf bereiten zwei Einbrecher den Überfall auf einen Juwelier vor. Doch dieser Raub ist alles andere als zufälliges Verbrechen ...

Fünf Tage zuvor plant Sophie Braun ein großes Fest anlässlich ihres 40. Geburtstags. Sie lebt mit ihrer Familie in einem großzügigen Haus am Genfer See, das Leben scheint ihr zuzulächeln. Aber die Idylle trügt. Denn ihr Ehemann ist offenbar in kriminelle Machenschaften verstrickt. Ihr Nachbar, ein vermeintlich untadeliger Polizist, spioniert die intimsten Winkel ihres Lebens aus. Und dann offeriert ihr ein Unbekannter ein Geschenk, das sie tief erschüttern wird.

Was verbirgt sich hinter der schillernden Fassade des privilegierten Paars? Und was verbindet sie mit dem raffinierten Juwelenraub? (Verlagsinfo) 

Es scheint, als würden diese vier Figuren ihre Emotionen miteinander teilen. Es gibt eine Vielzahl von Emotionen, die wir als menschliche Wesen verspüren, darunter Begehren, Hass, Neid, Eifersucht, Bewunderung und eine gewisse Abneigung. Es sind allesamt "Scheinriesen", die unter ihrer täglichen Maskerade vieles verbergen.

In zeitlichen Rückblenden wird dem Leser auf sensible Weise bewusst, dass es neben dem ganzen "Glanz" und "Gloria" auch einige dunkle Geheimnisse gibt, die schließlich in einem Raubüberfall und einem Toten münden. Der Titel ist ein Kriminalroman, der jedoch auch Elemente einer psychologischen Geschichte aufweist. Es erwarten Sie zahlreiche überraschende Wendungen.

"Ein ungezähmtes Tier" ist ein spannender und eindrucksvoller Roman, der auf den ersten Blick zu überzeugen weiß. Bei näherer Betrachtung könnte man sagen, dass diese Raffinesse durchzogen ist von Klischees. Die Figuren sind gut beschrieben, wobei das Verhalten der Figuren als etwas stereotypisch empfunden werden könnte. Hinter diesem Vorhang könnten sich Überraschungen verbergen, die dazu beitragen könnten, eine interessante und tiefe Spannung aufzubauen.

Dickers scheint ein besonderes Talent dafür zu haben, die zahlreichen erzählerischen und zeitlichen Ebenen der Figuren aufzubauen, ohne dass dabei unlogische Verwirrungen entstehen. Der Autor hat es verstanden, mit einer Reihe von überraschenden Elementen und einer geschickten Wortakrobatik zu überzeugen. Auch die scheinbar unwichtigen Szenen tragen auf subtile Weise zur Entwicklung der Dynamik des Romans bei und verleihen ihm so eine gewisse Tiefe.

Fazit

Spannend – Abwechslungsreich – Überraschend – großartiger Spannungsgarant der auf hohem Niveau eine Unterhaltung bietet, der man sich nicht entziehen kann.

Michael Sterzik

Samstag, 10. Mai 2025

Die Spionin - Tess Gerritsen


Als Geheimnisträger, als ehemaliger Agent eines Nachrichtendienstes ist es schwierig, auf die Frage zu antworten, welchen Beruf man ausgeübt hat. Einfach nüchtern zu sagen: „Ich war früher Spionin im Dienste der CIA und habe verdeckt gearbeitet“ - das klingt zwar ein bisschen nach James Bond, aber grundsätzlich wird diese Frage ehemaligen Geheimdienstlern trotzdem gestellt. Schließlich bringt es der Beruf mit sich, dass man Zeuge oder vielleicht sogar Täter in brisanten Situationen wird. In Krisenländern, in denen es um Drogen, Terrorismus, Waffenhandel geht, kann es für den Spion/Agenten lebensgefährlich werden. Eine Marionette an langen Fäden, die sicherlich auch die eine oder andere posttraumatische Belastungsstörung mit sich bringen dürfte. Ach ja, und neben diesem heiklen Beruf gibt es ja auch noch das Privatleben, eventuell mit Partner und Kindern - und selbst diese schützt man mit Lügen, Betrug und vielen Halbwahrheiten, um sie nicht selbst in den Fokus einer Bedrohung zu rücken.

Und wenn man dann tatsächlich das Renten-/Pensionsalter erreicht - dann trägt man vielleicht so viel seelisches Gepäck mit sich herum, dass man sich nur noch nach idyllischer Ruhe sehnt. Alte Gewohnheiten, die man aber auch in einem Nebenfach des Gepäcks mit sich führt - und zwar immer. Und was passiert, wenn alte Freunde oder Feinde an die Tür klopfen, um ein offenes Thema zu beenden? Richtig - das kann viel, viel Ärger bedeuten.

Tess Gerritsen beschreibt diese Thematik im ersten Buch der Reihe: „Die Spionin“. 

Über Maggie Bird kann man einiges erzählen: Sie züchtet Hühner, ist eine zuvorkommende Nachbarin und lebt ein ruhiges Leben im idyllischen Purity in Maine. Die scheinbar durchschnittliche Sechzigjährige besucht regelmäßig einen Buchclub, wo sie mit ihren ebenfalls pensionierten Freunden Martinis trinkt – gerührt, nicht geschüttelt. Sie kann hervorragend mit einem Gewehr umgehen. Und sie spricht nie über ihre Vergangenheit.

Als eines Tages eine tote Frau in ihrer Auffahrt liegt, ist Maggie sofort klar: Dies ist eine Nachricht aus der »guten alten Zeit«. Vor sechzehn Jahren arbeitete sie für die CIA, und nun scheint die Vergangenheit sie eingeholt zu haben. Zusammen mit ihren Freunden aus dem Buchclub – alles ehemalige Spione wie sie – nimmt Maggie die Ermittlungen auf, denn sie alle wissen: Für die lokale Polizei ist dieser Fall eine Nummer zu groß …(Verlagsinfo) 

Es ist keine neue Idee, eine Reihe alter Spione wieder auferstehen zu lassen, die ihr altes Netzwerk und ihre Fähigkeiten nutzen, um Verbrechen aufzuklären. Der Auftakt der Erfolgsautorin ist jedenfalls originell gelungen und verspricht gute Unterhaltung und einen soliden Spannungsbogen.

Die Geschichte gliedert sich in Gegenwart und Vergangenheit - wobei die Rückblenden inhaltlich spannender und abwechslungsreicher erzählt sind. „Die Spionin“ ist bei weitem kein Actionthriller, das Tempo ist gemächlich, aber die Geschichte überzeugt durch ihren Realismus. Vielleicht abgesehen von den fünf Freunden, allesamt ehemalige Agenten, die zusammen in einer Kleinstadt leben, Martinis trinken und bei gutem Essen über Literatur plaudern.

Es gibt eine Vielzahl von Figuren in diesem Roman, die sicher auch in den Folgeromanen eine Rolle spielen werden. Schließlich gibt es noch vier weitere Freunde, die von ihren früheren Abenteuern bei der CIA zu berichten haben.

So konzentriert sich alles auf Maggie - und die anderen Figuren werden eher oberflächlich beschrieben. Hier hätte ich mir die eine oder andere Nebenfigur gewünscht, die der Geschichte etwas mehr Tiefe gegeben hätte.

Originell und augenzwinkernd ist dagegen die Polizistin in dem kleinen Ort, die neben einer Leiche langsam begreift, dass die rüstigen, gut ausgerüsteten Rentner etwas zu verbergen haben. Deren Ruhe und Gelassenheit mit souveränem Schweigen zu beantworten, bringt die junge Beamtin ein wenig zur Verzweiflung.

Neben der handfesten Spannung kommt auch das Gefühl nicht zu kurz. Die Geschichte wird aus der Perspektive von Maggie erzählt, die mit vielen alten Gefühlen, Ängsten und Vorwürfen kämpft, die sie nur schwer in den Griff bekommt.

„Die Spionin“ macht große Lust auf eine Fortsetzung und ich hoffe, dass sich im zweiten Band nicht wieder alles um Maggie Bird dreht.

Fazit

Fünf Freunde, das sind wir - mit vielen Geheimnissen und einem gewissen Talent, auch im Alter nicht zur Ruhe zu kommen. Eine spannende Geschichte mit tollen Charakteren.


Michael Sterzik