Jeder Mensch hat seine Geheimnisse, seine Leichen im Keller, seine Traumata - die verdrängt, versteckt oder sogar vor sich selbst verleugnet werden können. Jeder von uns hat seine persönliche Vergangenheit und selbst gegenüber dem eigenen Partner oder in der Familie gibt es Grenzen der offenen Kommunikation und der Wahrheiten.
Schauen wir auf Personengruppen, und damit meine ich nicht politische Gemeinschaften, die schwarze Akten haben, selbst der Vatikan hat in seinen klerikalen Archiven Dokumente, die der Weltöffentlichkeit bewusst vorenthalten werden. Dann gibt es in unserem Alltag kleinere Gruppen, z.B. in der Nachbarschaft, die manchmal eine gesellschaftliche Elite darstellen wollen. Intrigen, Manipulation und Erpressung gehören zum Alltag.
Niemand weiß, wann sich all die aufgestauten Emotionen entladen - und niemand weiß, wer am Ground Zero einer vielleicht brutalen Wahrheit steht. Die Wahrheit hat Reißzähne und sie kommt immer wieder ans Licht - und dann meist zu einem Zeitpunkt, den man nicht erwartet. Danach dreht sich die Welt schneller und nichts ist mehr so, wie es einmal war. Freundschaften implodieren - Feindschaften entstehen und es kann auch lebensgefährlich werden, wenn der moralische Kompass verrückt spielt.
Schweigen ist Silber, Reden ist Gold. Das kann passen, muss aber nicht.
Eva Almstädt hat diese Nachbarschaftshilfe in ihrem gerade erschienenen Roman „Das schweigende Dorf“ thematisiert.
Anwältin Fentje Jacobsen, die ihre Kanzlei auf dem Schafshof ihrer Großeltern betreibt, erhält mitten in der Nacht einen Anruf. Der Mann am anderen Ende erklärt, dass er ihre Hilfe brauche, denn er werde demnächst des Mordes verdächtigt werden. Danach legt er auf. Kurz darauf hört Fentje, dass in einem benachbarten Ort zwei Tote gefunden wurden: Ihr neuer Klient ist selbst einem Verbrechen zum Opfer gefallen und wurde auf grausame Weise in seinem Haus stranguliert. Obwohl sie kein gültiges Mandat hat, beginnt Fentje mit dem Journalisten Niklas John Nachforschungen anzustellen. Doch als sie in dem kleinen Dorf zu tief graben, wird es auch für sie lebensgefährlich ...(Verlagsinfo)
Der vorliegende Band ist der dritte Roman aus der Reihe: „Akte Nordsee“, in der die junge Anwältin Fentje und der Journalist Niklas gemeinsam ermitteln. Man kann, muss aber nicht die Reihe chronologisch lesen, um hier Zusammenhänge besser verstehen zu können.
Die Beziehungskiste dieser beiden Figuren nimmt für einen Krimi recht viel Raum ein - vielleicht zu viel Raum, denn manchmal ist dieses „Sein oder Nichtsein“ einer Sympathie, eines Schwärmens füreinander für den Leser, der eigentlich Spannung erwartet, sehr, sehr anstrengend.
Ja - die Spannung ist da - aber leider immer relativ konstant. Es wird zwar viel von den beiden ermittelt - es gibt auch Ergebnisse und Entwicklungen - aber es ist auch sehr langatmig und viele Szenen hätte man entweder weiter ausbauen oder ganz streichen müssen. Das wundert mich - denn Eva Almstädt ist eine begnadete Autorin, die es sehr gut versteht, einen Spannungsbogen systematisch aufzubauen, ohne dass man gleich an ein einfaches Baukastensystem denken muss.
Realistisch ist die Geschichte trotzdem - bis auf die Tatsache, dass man sich immer wieder fragt, was die Kriminalpolizei mit den Ermittlungen zu tun hat, denn sie taucht überhaupt nicht auf. Der Staatsanwalt schäkert ein wenig mit dem Journalisten Niklas, aber ansonsten bleibt die Polizei im Schatten und scheint überhaupt nicht aktiv zu sein!
Spannung pur - und noch mehr Nebenfiguren geben sich die Klinke in die Hand. Diese nachbarschaftlichen Verflechtungen und die vielen unausgesprochenen, aber hinter vorgehaltener Hand geäußerten Vermutungen, die eine gewisse Eigendynamik entwickeln, halten eben jenen Spannungsbogen konstant.
So ist „Das schweigende Dorf“ zwar kein Pageturner, aber ein Roman, der gut unterhält und man kann sicher sein, dass Eva Almstädt im nächsten Band die Spannung wieder steigern kann.
Fazit
Spannende Nachbarschaftshilfe mit einigen inhaltlichen Längen und zu vielen persönlichen Herausforderungen, die leider überflüssig und hemmend wirken.
Michael Sterzik