Sonntag, 8. August 2021

Sag nie, es gäbe nur den Tod für uns - Judy Batalion


Der Holocaust – es gibt kaum noch Zeitzeugen aus der Zeit der Nazis und ihren furchtbaren Vernichtungslagern, umso mehr ist es wichtig, dass das dokumentierte Erbe, die Erlebnisberichte und Aussagen der überlebenden Häftlinge von Konzentrationslagern und ebenfalls die Stimmen der Widerstandskämpfer nicht verklingen. Diese Zahl von 6 Millionen ermordeten Jüdischen Frauen, Kindern und Männern ist nach über  80 Jahren noch immer schwer zu begreifen. Es gibt viele Filme und Dokumentationen, die diesen Schrecken in Bildern darstellen. Doch auch unter der jüdischen Bevölkerung gab es Widerstand, nicht nur passiven – sondern auch ein bewaffneter Widerstand in den Ghettos und Lagern, Sabotageakte und zielgerichtete Attentate auf Offiziere etc. In den Wäldern schlossen sich nicht wenige Juden den dortigen Partisanenkämpfern an. Viele, gerade auch jüdische Frauen infiltrierten die Besatzungsmacht und schmuggelten Kinder in neutrale Länder und nach Übersee.

Über diesen Widerstand von jüdischen Frauen ist einiges bekannt, aber steht aber nicht unbedingt im historischen Fokus. Die kanadische Historikerin Judy Batalion würdigt im vorliegenden Titel: „Sage nie, es gäbe nur den Tod für uns“ die Frauen, die im jüdischen Widerstand ihr Leben riskierten und auch verloren.

Vor einiger Zeit stieß Judy Batalion auf die Berichte junger jüdischer Frauen, die im Widerstand gegen die Nazis kämpften. Diese »Ghetto-Mädchen« versteckten Revolver in Brotlaiben und bombardierten Züge. Sie flirteten mit den Nazis, bestachen sie mit Schnaps – und töteten sie. Warum hatte Batalion, die in einer Familie von Holocaust-Überlebenden aufgewachsen war, nie davon gehört? Hier erzählt sie die wahre Geschichte dieser mutigen Frauen. Im Zentrum steht die Polin Renia Kukielka, die sich durch ihr vom Krieg gezeichnetes Land bewegt und ständig riskiert, für den Widerstand zu sterben.(Verlagsinfo)

„Sag nicht, es gäbe für uns kein morgen“ von Judy Batalion ist kein Buch, dass den Leser unberührt lässt. Trotz alledem was wir schon kennen, was wir auf Fotos gesehen, oder schrecklich gelesen haben – gehen diese Schicksale mit einer nachhaltigen Stimmung durch die Haut.

Das Buch ist gleichbedeutend mit einem Denkmal, dass diese mutigen Frauen ihrer Zeit verdienten. Es ist ein Sachbuch, aber die Autorin ermöglicht es dem Leser an Geschichten teilzuhaben, die genauso spannend sind wie fiktive Thriller, oder Krimis.

Es gab viele Widerstandskämpfer, die unter Einsatz ihres Lebens andere Menschen retteten, oder halfen – viele sind uns wohlbekannt. Doch hier zählt nicht die mediale Würdigung im Rampenlicht – es wäre diesen Frauen egal gewesen. Ihre Schrecken, aber auch ihr Einfallsreichtum, ihre Kaltblütigkeit und den festen Willen sich zu widersetzen – dem ist ein hoher Respekt geschuldet.

Judy Batalion hat gründlich recherchiert und lässt die Stimmen dieser Frauen ein Stück weit unsterblich werden. Die Autorin beschreibt die Erlebnisse und die Aktionen der Frau sehr detailliert, ohne zu übertreiben, oder es künstlich zu dramatisieren.

Fazit

Ein Zeitzeugnis und ein Denkmal. Eine Mahnung und ein stilles, aber nachhaltiges Echo, dass Widerstand immer nötig ist. Ein ganz besonderes Buch, dass insgesamt die Menschen würdigt, die nicht laut sein konnten.

Michael Sterzik

Samstag, 7. August 2021

Nachttod - Johanna Mo


 Noch immer sind die skandinavischen Krimis und Thriller fast schon eine Garantie für spannende und unterhaltsame Unterhaltung. Die atmosphärische Intensität in diesen nordischen Titeln ist mörderisch gut. Setting – Ambiente – Figuren –  Story – Passen diese einzelnen Elemente und harmonieren miteinander, und ergänzen sich, so hat der Autor alles richtig gemacht.

Die schwedische Autorin Johanna Mo hat nun ihr Debütwerk: „Nachttod“ veröffentlicht. Eine Reihe, die aus drei Bänden bestehen soll. Der vorliegende Titel: „Nachttod“ ist der Auftakt um die junge Kriminalbeamtin Hanna Duncker, die auch nach sechzehn Jahren noch immer versucht, warum ihr Vater einen grausamen Mord begangen hat. Hanna Duncker ist weit davon weg traumatisiert zu sein, doch gänzlich ihre Vergangenheit hinter sich lassen, ist für sie unmöglich.

Hanna Duncker ist zurück auf Öland. Hier in ihrer Heimat kennt man sie nur als die Tochter von Lars Duncker, dem Mann, der vor sechzehn Jahren einen grausamen Mord beging. Inzwischen ist Hanna diejenige, die Verbrecher jagt. Ihr erster Fall auf Öland: Ein toter Teenager, mitten in der Nacht erstochen an einem beliebten Ausflugsziel. Und niemand kennt seine Mutter besser als Hanna. Die Ermittlungen werden für Hanna zu einer Abrechnung mit ihrer eigenen Jugend, und Nachforschungen im Fall ihres Vaters reißen alte Wunden auf. Nicht alle sind froh darüber, dass die Tochter von Lars Duncker zurückgekehrt ist. (Verlagsinfo)

Sehr interessant ist es, wie die Autorin ihren Roman aufgebaut hat. Gerade der Perspektivwechsel zwischen Hanna Duncker, und die in Rückblicken geschilderten Erlebnisse des toten Teenagers sind außerordentlich spannend und gut in Szene gesetzt. Wobei letztere Perspektive atmosphärisch interpretiert, die stärkere ist.

Ebenfalls interessant erzählt ist das nach Hause kommen von Hanna. Interessant in jedem Fall aber zu wenig in die Tiefe gehend. Viel wird nicht erzählt, und außer dass Hanna eine postaggressive Stimmung mit sich trägt, erfährt man immer nur häppchenweise, was vor 16 Jahren vielleicht dramatisches geschehen ist?!  Auch der Kreis der involvierten Personen 16 Jahre später – ist reichlich dünn und eingeschränkt. Schade – denn dieser Perspektivwechsel ist zu minimalistisch ausgemalt.

Die Hauptstory ist spannend und hier zeigt sich die Autorin auch von einer sehr sensiblen Seite, denn sie beleuchtet die Aktionen und Erfahrungen der verdächtigen Personen sehr gut. Ebenfalls finden die Angehörigen des toten Jungen ihren Platz. Und trotz der soliden Spannung, geht die Autorin mit ihren Figuren arg ins Gericht. Die Frage schon Schuld oder Unschuld lässt sich nicht beantworten. Nachhaltig emotional erzählt Johanna Mo von der Verletzlichkeit der Kinderseelen. Diese Botschaften gehen unter die Haut und animieren zum Nachdenken.

Halten wir mal kurz fest! Spannung passt! Atmosphäre passt auch. Kommen wir zu den Figuren. Hier gibt es Abstriche: Hannas Vergangenheit bleibt zwar nicht im Dunkeln, aber verharren in einem unbegehbaren Dickicht. Es wird ja noch zwei weitere Bände geben, die hoffentlich diese dann angestrengter beachten wird.  

Kommen wir zum Faktor: Authentische Handlung! Der Dramaturgie geschuldet bestimmt hilfreich, dass Hannas Vergangenheit quasi mit Gewalt die Tür zur Gegenwart auftritt, aber nicht realistisch, dass eine Kriminalbeamtin in einem Mordfall ermittelt, in dem sie sehr wohl als befangen gilt.

Nichtsdestotrotz ist „Nachttod“ ein sehr spannender und guter Kriminalroman. Der zweite Band sollte allerdings die Figuren stärker hervorheben und auch die Nebengeschichten sind in Menge und Intensität zu wenig eingesetzt. Ich bin aber davon überzeugt, das Band 2 inhaltlich stärker sein wird. Es deutet schon alles darauf hin.

Fazit

„Nachttod“ geht einen neuen Weg. Spannende psychologische Themen und eine ganze eigene Dramaturgie wirken überzeugend. Eine Autorin mit großem Potenzial. Der Auftakt war großartig – die Reihe könnte brillant werden. Klare Leseempfehlung.

Michael Sterzik

Sonntag, 25. Juli 2021

Die Sprache des Lichts - Katharina Kramer

 


Die Sprache ist nicht nur Kommunikation – und schauen wir uns als Sprachwissenschaftler diese an, so stellen wir schnell fest, dass es mehrere Arten von Sprachen gibt. Nicht nur Sprachen von verschiedenen Nationen, oder Regionen, oder Ländern. Es gibt auch die Gebärdensprache, es gibt Programmiersprachen, selbst mathematische Formeln und Rechensätze – kann man als einen codierten Teilbereich interpretieren. Und kommunizieren nicht auch Tiere mit verschiedenen Tönen, oder überhaupt Lebewesen mit einer Gestik und Mimik?!

In der Literatur – insbesondere in der Belletristik im Genre „Historischer Roman“ wird in den verschiedenen Titeln immer wieder zu den Waffen gerufen; um anzugreifen, um sich und andere zu beschützen, usw. Im vorliegenden Roman „Die Sprache des Lichts“ von Katharina Kramer, ist die Tatwaffe die „Sprache“. Sie kann universell eingesetzt werden, sie kann Fragen und Antworten auf die Liebe finden, sie kann Kriege entfachen und ganze Reiche in sich zusammenfallen lassen. Schon längst und immer waren „Worte“ die Erzfeinde von Herrschern. Kirchenfürsten und Könige ängstigten sich schon immer für die ausgesprochen Wahrheiten.

Die Sprachmelodie von Sprachen – der Gesang der Sirenen – ein ausgesprochener Fluch. Verletzende Worte, die man einmal ausgesprochen nicht mehr zurücknehmen kann. Sie merken – ein interessantes, vielseitiges Gebiet.

„Die Sprache des Lichts“ von Katharina Kramer ist ihr Debütroman und vorab ist zu sagen, es ist ihr gelungen einen wunderbaren, vielseitigen und vor allem eine wortgewandte Geschichte zu veröffentlichen.

Wie würde Gott zu uns sprechen? Gibt eine Ursprache? Begleiten Sie im vorliegenden Roman drei Protagonisten auf der Suche nach der Ursprache inmitten der Religionskriege.

Europa 1582: Während die Religionskriege Nachbarn zu Feinden machen, sind Gelehrte, Alchemisten und die Spione der Mächtigen auf der Suche nach der Sprache der Schöpfung, mit der Gott die Welt erschaffen hat. Denn diese Ursprache, so glaubt man, hat noch immer die Macht, das Gesagte entstehen zu lassen.

Der sprachbegabte Jacob Greve entdeckt in den Diensten des englischen Hofastronomen John Dee das geheimnisvolle Buch Soyga, das den Schlüssel zur Ursprache enthalten soll. Daraufhin macht er sich auf eine gefahrvolle Reise quer durch Europa, um es zu enträtseln. Doch Jacob ist nicht der einzige, der dem Geheimnis auf der Spur ist. Die radikale katholische Liga hat die Übersetzerin und Spionin Margarète Labé auf Jacob angesetzt, und auch der zwielichtige Alchemist Edward Kelley hat großes Interesse an Jacobs Talenten …

Im von Kriegen zerrissenen Europa Ende des 16. Jahrhunderts lässt Katharina Kramer die Helden ihres historischen Romans das Rätsel um das geheimnisvolle Buch Soyga ergründen und Jacob, Margarète und Edward das Wesen der Sprache selbst erforschen. (Verlagsinfo)

Die Sprache spielt die absolute, zentrale Rolle in diesem Roman. Wir begegnen verschiedene Sprachen. Katharina Kramer konzentriert sich darauf, uns die Kraft der Sprache zu gegenwärtigen. Das gelingt ihr mit einer souveränen und selbstbewussten Leichtigkeit, dass man sofort merkt – Sprache – ist für die Autorin eine Leidenschaft. Leider vernachlässigt die Autorin zeitgleich allerdings den Spannungsbogen und für alle Menschen, die ggf. wenig mit ausschmückenden Worten, Feinheiten der Sprache, usw., anfangen können ist es zu überfordernd.

Geschichtlich hat Katharina Kramer vorbildlich gut recherchiert. Doch auch hier der Fokus bleibt primär der Sprache überlassen. Die „Sprache“ ist auch das Motiv aller Figuren, und damit verlieren diese etwas viel an einer interessanten Tiefgründigkeit. Auch dieser Aspekt verhindert es ein wenig eine Spannung aufzubauen, die den Unterhaltungswert nach treiben.  

Alles in allem ist aber auch ein Debütroman und aller Anfang ist schwer. Ich bin mir sicher, dass Katharina Kramer ihr Talent in weiteren Roman besser ausspielen wird.

Mit Ihrem Fachwissen glänzt Katharina Kramer und überzeugt – für einen spannenden und unterhaltsamen Roman langt es allerdings noch nicht. „Die Sprache des Lichts“ ist ein guter, historischer Roman – der sich im Genre „Historischer Roman“ ausklinkt  und trotzdem eine exponierte Stellung einnimmt.

Fazit

„Die Sprache des Lichts“ von Katharina Kramer ist ein besonderes Buch, dass für Sprachgewandte der Garten Eden sein dürfte. Ein guter Roman – der überrascht und mutig einen Weg geht und überzeugt. Jetzt fehlt es noch ein wenig an Dramatik, Theatralik, Spannung und inhaltliche Tiefe. Ich bin gespannt auf weitere Bücher der Autorin.

Michael Sterzik

Sonntag, 18. Juli 2021

Die Töchter Roms - Flammentempel - Debra May Macleod


 Das „alte“ Rom und insbesondere die Personen der Familie der Julier – einer alten Dynastie, politischer hoher Einfluss, militärisch erfahren verfügte das altrömische Patriziergeschlecht über etwas Macht im Senat. Nicht unbeliebt bei dem einfachen Volk ebnete sich Julias Caesar mit politischer und militärischer Macht sein Amt vom Konsul zum Diktator. Nach dem mörderischen Attentat im Senat verfügte sein Großneffe und Haupterbe Octavius (Kaiser Augustus) über das Prinzipat als neue Staatsform im Römischen Reich. Seine Rache entgingen unbequeme Mitglieder des Senats und andere Personen nicht. Mit einer kalten, aber konsequenten Kompromisslosigkeit entledigte er sich aller personellen Gefahren.

Der vorliegende Roman „Die Töchter Roms – Flammentempel“ behandelt die Aufstiegszeit von Octavius, der Machtkampf zwischen ihm und Antonius und natürlich darf auch nicht die ägyptische Herrscherin Kleopatra in der Handlung fehlen.

Die Autorin Debra May Macleod hat viele historische Romane und Sachbücher verfasst. Ausschlaggebend war wohl der erste Besuch auf dem Forum Roman in Rom. Insbesondere der Orden der Vestalinnen hat die Autorin fasziniert. Inzwischen gibt es ja viele Romane, die sich mit der beginnenden Kaiserzeit, und mit historischen Personen beschäftigen, deren Quellen und Chroniken keine Geheimnisse mehr tragen.

Rom, im Jahr 45 v. Chr.: Pomponia ist noch ein Kind, als sie von Julius Caesar für den Orden der Vestalinnen ausgewählt wird. 30 Jahre soll sie Rom in Keuschheit dienen, über der Ewigen Flamme des Tempels wachen, Reichtum, Privilegien, Ansehen und Macht genießen. Doch kaum hat sie ihre ersten Jahre des Lernens absolviert, findet sie sich an der Spitze des Ordens wieder. Julius Caesar wird ermordet, sein Erbe Caesar Augustus behauptet sich an der Spitze des Imperiums. Julius’ Geliebte Kleopatra flieht mit ihrem illegitimen Sohn nach Ägypten und hält die für Rom überlebensnotwendigen Getreidelieferungen zurück. Kann Vestalis Maxima Pomponia sich von der Politik fernhalten? Oder muss sie für sich selbst, für ihre Liebe, für ihre Ordensschwestern – für Rom – ihre Macht ausspielen? (Verlagsinfo)

„Die Töchter Roms – Flammentempel“ ist wenig bis gar nicht spannend. Es ist eine Liebesgeschichte – Drama, Tragik, Intrigen….eine Liebe auf Abstand, dass bringen von persönlichen Opfern für die alte Traditionen und Riten. Atmosphärisch erweckt sie mit einer Vielzahl von historischen Personen Rom zum Leben. Allerdings und das ist das unabwendbare an dieser Geschichte – sie ist bekannt. Originalität, vielleicht eine neue Interpretation der Ereignisse – es gibt nichts von alledem. Und damit bleibt eine von historischen Fakten versetzte, langweilige Handlung übrig, deren Ausgang man unschwer erkennt. 

Sehr schnell erkennt man, dass das Talent der Autorin sich auf einer Sachebene konzentriert – an historischen Fakten, an der Kultur, der Lebensart, der Religionen, der Traditionen, des Militärs usw. Genau das ist auch die alleine Stärke und Ausprägung dieses Romans.

Die Charaktere sind so eindimensional, so langweilig konzipiert, dass ich darüber kein weiteres Wort verlieren möchte. Ähnlich wie die eigentliche Handlung – es fehlt an vielen – besonders an erzählerische Atmosphäre – da können auch die historischen Personen nichts mehr retten.

Die Zielgruppe ist auf Leserinnen ausgerichtet – da sich alles um diese Liebesgeschichte dreht, bei allen geschichtlichen Flanken – das ist viel zu wenig um sich gut zu unterhalten zu fühlen. Als Sachbuchautorin bestimmt sehr, sehr gut  - als Autorin für eine packende, unterhaltsame und spannende Geschichte, wirkt sie zu überfordert.

Fazit

„Die Töchter Roms – Flammentempel“ von Debra May Macleod ist ein oberflächiger, wenig unterhaltsamer und nicht spannender Titel. Keine Leseempfehlung die ich geben kann und weitere Bände der Autorin erspare ich mir.

Michael Sterzik

Samstag, 10. Juli 2021

Das Buch des Totengräbers - Oliver Pötzsch

 


Einer von Oliver Pötzsch Lieblingscharakteren ist der Tod in seinen verschieden Buchreihen. Er ist beides – Haupt- wie auch Nebenfigur. Immer präsent – aber immer niemand, der sich gerne zu erkennen gibt. Ist eben halt „Alles Sense“.

„Das Buch des Totengräbers“ – der neueste Titel von Oliver Pötzsch, schleudert den Leser nicht zwischen Henkerstöchtern und Dr. Faustus – nicht ins Früh- oder Spätmittelalter, doch es bleibt historisch.

Wien – 1893. Eine Weltstadt, die sich seiner Zeit sehr konträr in vielen Themen bewegt. Eine Metropole stehend auf der Schwelle zu einer „modernen“ Welt – und mit kleinen Schritten geht’s dann in die Industrialisierung. Viel länger, viel schwerfälliger ist allerdings der kulturelle und gesellschaftliche Wandel – alte Dogmen, alte Traditionen – und fangen wir mal gar nicht davon von alten Werten zu sprechen, die Clubs der alten, elitären Vereinigungen weigern und wehren sich, auch wenn sie schon längst wissen, dass ihre Zeit abläuft.

Morde gab es allerdings auch immer – die Mordwaffen verändern sich, die Methoden nicht, die Motive – wählen sie sich bitte eines aus den 7 Todsünden…eines passt immer. Das Täterprofil wandelt ja eh durch die Menschheitsgeschichte.

1893: Augustin Rothmayer ist Totengräber auf dem berühmten Wiener Zentralfriedhof. Ein schrulliger, jedoch hochgebildeter Kauz, der den ersten Almanach für Totengräber schreibt. Seine Ruhe wird jäh gestört, als er Besuch vom jungen Inspektor Leopold von Herzfeldt bekommt. Herzfeldt braucht einen Todes-Experten: Mehrere Dienstmädchen wurden ermordet – jede von ihnen brutal gepfählt. Der Totengräber hat schon Leichen in jeder Form gesehen, kennt alle Todesursachen und Verwesungsstufen. Er weiß, dass das Pfählen eine uralte Methode ist, um Untote unter der Erde zu halten. Geht in Wien ein abergläubischer Serientäter um? Der Inspektor und der Totengräber beginnen gemeinsam zu ermitteln und müssen feststellen, dass sich hinter den Pforten dieser glamourösen Weltstadt tiefe Abgründe auftun …(Verlagsinfo)

Oliver Pötzsch hat mit seinem neuesten Titel“ Das Buch des Totengräbers“ eine nicht neue, aber optimierte Autorenwelt betreten. Und dieser Entwicklungsschritt zeigt sich in der Konzeption der tollen, originellen und vielseitigen Figuren in dem vorliegenden Roman. Dazu reichen drei Hauptfiguren – Leopold von Herzfeldt, der Totengräber Augustin Rothmayer und der Wolf im Schafspelz Julia.

Alle drei sind skurril, geheimnisvoll und auf ihrer Art und haben eine kleine monopolistische Ausprägung. Obwohl hier noch ein paar menschliche Ecken und Kanten fehlen – aber warten wir mal die charakterliche Entwicklung in den nachfolgenden Romanen ab. Brillant aber auch die facettenreiche Nebenfiguren, die ebenfalls doch erdacht und aufgestellt wurden.

Die Dialoge sind toll und spiegeln die manchmal zu kleine anmutende, kulturelle und religiöse Welt wieder. Der Antisemitismus spielt hier keine tragende Rolle, aber lässt sich auch nicht einfach so ignorieren. Die Atmosphäre einer Stadt im Wandel beschreibt Oliver Pötzsch großartig. Die österreichische Metropole zeigt sich nicht immer von einer strahlenden Seite. Das Vergnügen auf dem Prater – leidenschaftliche südamerikanischer Tango in dunklen Wirtshäusern, und auch das Leben und Sterben inmitten dieser Stadt lässt tief, sehr detailliert blicken. Dazu gehören auch sittenlose Prostitution und verruchte Varietés

„Das Buch des Totengräbers“ ist ein fiktionales Werk, mit vielen, aber nicht ausschließlich historischen Personen. Wie Oliver Pötzsch Talent literarisch Bilder in die Köpfe der Leser zu projizieren ist professionell.

Die Spannung in dem Roman ist gut – aber bewegt sich auf einen schmalen Grad und diese driftet hin und wieder ab. Die Ermittlungsarbeit – egal ob wir von einer klassischen Methodik sprechen, oder die Wissenschaft an die Tür der Ermittlungsbeamten klopft – steht oftmals im Fokus und verdrängt die Perspektive des Täters und der Opfer. Genau das spürt man dann auch bei der Entwicklung des Spannungsbogens.

Fazit

„Ach Du lieber Augustin, Augustin …alles ist hin!? Ist es nicht – es ist alles in allerbester Ordnung und „Das Buch des Totengräbers“ ist die Eröffnung einer großartigen Saga mit der Oliver Pötzsch  alles richtig gemacht hat.

Ein Roman, der auch als Hörbuch ggf. mit einem Wiener Dialekt außerordentlich viel Spaß macht. Unterhaltung auf allerhöchstem Niveau. Prädikation. Ein Titel den man unbedingt lesen sollte.

Michael Sterzik


Sonntag, 4. Juli 2021

Die Spur des Bären - Martin Cruz Smith

 


Die Verfilmung des Bestsellers „Gorki Park“ von Martin Cruz Smith, katapultierte den Autor in einen höheren Bekanntheitsgrad. Die Hauptfigur des russischen Ermittlers Arkadi Renko wurde im Genre Thriller durchaus zu einer charismatischen Kultfigur. Spielte der Roman noch im Kalten Krieg der Großmächte so ging doch der Autor mit Arkadi Renko auf eine Reise durch die letzten fast schon vierzig Jahre – eine Reise der Sowjetunion durch verschiedene Krisen, durch eine prägende Entwicklung die nun in der Gegenwart angekommen ist. Martin Cruz Smith erzählt sehr bildgewaltig und vom Verfall der Sowjetunion und dem Aufbau einer russischen Weltmacht, die natürlich auch Wladimir Putin und seinen Staatsapparat kritisch zeigen.

Der vorliegende Roman ist der neunte Band der Arkadi-Renko-Reihe. Er kann als Einzelband gelesen werden, doch es wäre vorteilhaft, wenn man zuvor schon einige Bänder gelesen hat, und somit die Handlungen und Motive eines Arkadi Renkos verstehen kann. Auch seine charakterliche Entwicklung ist natürlich nicht in 40 Jahren stehengeblieben.

Der legendäre Moskauer Ermittler Arkadi Renko ist in größter Sorge um seine ehemalige Geliebte Tatjana. Die mutige Enthüllungsjournalistin ist nicht planmäßig aus Sibirien zurückgekehrt. Dort wollte sie den politischen Dissidenten Kusnezow porträtieren – einen charismatischen, aber auch skrupellosen Mann, der das ehrgeizige Ziel verfolgt, die Dauerherrschaft Putins zu brechen. Getrieben von bösen Vorahnungen, aber auch rasender Eifersucht, begibt sich Renko auf eine riskante Reise. Er merkt schnell, dass in der unwirtlichen, eisigen Natur Sibiriens ganz eigene Gesetze herrschen. Doch erst eine grausame Bärenjagd, von der er sich wichtige Insider-Informationen verspricht, führt ihm vor Augen, in welche gefährlichen politischen Fänge Tatjana geraten ist …(Verlagsinfo)

Interessant ist es das Martin Cruz Smith sich selbst treu bleibt und sich auf das politische, kulturelle und wirtschaftliche Russland konzentriert, mit all seinen Subthemen und Herausforderungen. Im Grunde ist es ein regimekritisches Buch, handelt es doch um Oligarchen, um einen politischen Dissidenten und mit der Figur der Journalisten Tatjana um die Pressefreiheit.

„Die Spur des Bären“ kommt auch ohne technischen Firlefanz aus, ohne Hightech deren sich die Ermittler bedienen können. Arkadi Renko ist anders – für ihn zählt der Faktor Mensch und dessen ausgesprochenen Talent Fehler zu begehen. Klassische Ermittlungsarbeit in einem autoritären System. Wie immer bringt sich aber Arkadi Renko in Lebensgefahr – Scharfschützen und wilde Bären hinterlassen durchaus psychische und physische Spuren bei dieser Figur.

Der Hauptteil der Geschichte spielt nicht in der Metropole Moskau – die natürlich prädestiniert wäre für politische, kulturelle und wirtschaftliche Ereignisse und Handlungen. Es geht recht fix in die Taiga – in einer Umgebung die grausam, schön und brutal gefährlich sein kann.

Die Stärken des Romans sind auch gerade die Dialoge, die innerhalb der spannenden Handlung fein geschliffen sind, besonders dann, wenn Arkadi Renko sich mit seiner typischen sarkastischen, ironischen Sprache Gehör verschafft. Es ist verwunderlich, dass er mit seiner spitzen Zunge überlebt hat, oder vielleicht auch gerade deswegen, weil er weiß wie er diese auch als intellektuelle Waffe einzusetzen vermag.  

„Die Spur des Bären“ ist ein spannender und kurzweiliger Thriller. Ausdrucksstark und so munter und frech mit seinen Dialogen, dass die Handlung eigentlich nur wie ein Nebendarsteller wirkt. Die Figuren des Romans sind aufgestellt wie auf einem Schachbrett, und die Nebenfiguren besitzen einen sehr intelligenten, vorwitzigen Charme.

Die Handlung weist auch Action Elemente auf und teilt sich gezielt immer wieder im Wechsel mit großartigen Dialogen die Bühne. Es gibt nichts zu kritisieren – vielleicht wäre es ggf. an der Zeit diese Reihe abzuschließen, denn Arkadi Renko ist als Figur nicht unsterblich und folgt man der Reihe – so hat natürlich sein Schöpfer Martin Cruz Smith mit seinem „Alter“ geschummelt.

Fazit

„Die Spur des Bären“ ist ein bärenstarker Kriminalroman. Grandios erzählt – mit viel Humor und einer spannenden Handlung, ist er absolut überzeugend. Klare Leseempfehlung.

Michael Sterzik

 

 

 

Sonntag, 27. Juni 2021

Nahtod - Grenzerfahrungen zwischen den Welten - Dr. med Bruce Greyson


Leben – Sterben – Tod: Wir entkommen dem „Tod“ nicht – wir können ihn ggf. durch eine moderne Pharmazie und einer sehr, sehr fortschrittlichen Medizintechnik ggf. kurz verdrängen. Doch der biologische Tod ist unaufhaltsam – er ist gnadenlos – er kann plötzlich präsente werden, der Bruder des Schlafes – kann aber auch erlösend sein. Schwerkranke heißen ihn oft wie einen guten Freund willkommen.

Körper  - Geist – Seele – gleichbedeutend mit Vater, Sohn und Heiliger Geist!? Ist der Körper nur ein Gefäß für die Seele um unser innerstes Selbst – unsere Seele mit dem Auftrag uns zu zeigen wie wir emotional agieren, wie wir uns entwickeln können, wie wir anhand unserer Entscheidungen versagen, oder auch unser Schicksal, unsere Aufgabe erfüllen. Lassen Sie uns gemeinsam philosophieren.

Seit Jahrtausenden glauben die Menschen, an die unsterbliche Seele, an ein Fortleben nach dem physischen Tod. Ein Weiterleben im Jenseits, im Himmel, im Paradies, in einer anderen Dimension? Für viele Menschen, ob nun religiös, oder nicht ein tröstlicher Gedanke, eine Hoffnung, für andere die eine Nahtoderfahrung durchlebten – allerdings eine unumstößliche Bestätigung, dass der Tod nicht das Ende des Lebens darstellt.

Religion – Wissenschaft – Philosophie: Alle drei „Überzeugungen“ können im Einklang harmonisch miteinander umgehen, sogar interagieren – doch leider ist das eine seltene Ausnahme, wenn man sich über das Thema „Nahtodforschung“ kommunikativ austauschen möchte.

Das vorliegende Buch „Nahtod“ von Dr. med. Greyson befasst sich mit diesem Thema und versucht zwischen der Religion und der Wissenschaft zu vermitteln.

Was passiert mit uns, wenn wir sterben? Alles, was nach dem Tod kommt, scheint unerforschbar zu sein. Dabei gibt es unzählige Menschen, die nach einem Herzstillstand von außergewöhnlichen Erlebnissen auf der Schwelle zwischen Leben und Tod berichten, die in höchstem Maße darauf hindeuten, dass das menschliche Bewusstsein unsterblich ist und es tatsächlich ein Leben nach dem Tod gibt!
Der Psychiater und Neurowissenschaftler Dr. Bruce Greyson, der »Vater der Nahtodforschung«, untersucht dieses erstaunliche Phänomen seit über 40 Jahren. Hier präsentiert er die faszinierendsten und berührendsten Nahtoderlebnisse seiner Patienten und zeigt, welche tiefgreifenden Auswirkungen solche Erfahrungen auf das spätere Leben haben. Denn der Blick hinter den Vorhang, auf die »andere Seite«, verändert die Sicht der Betroffenen auf alle Aspekte der menschlichen Existenz für immer ...! Ein echter Meilenstein der Nahtodforschung, der wertvolle Lektionen für jeden von uns bereithält: darüber, wie wir mit dem Sterben und dem Tod bewusst und ohne Angst umgehen – aber auch darüber, wie wir ein erfülltes Leben im Diesseits leben können.(Verlagsinfo)

Das Buch beantwortet nicht alle Fragen! Aber wer sich schon mit dem Thema beschäftigt hat, findet interessante Ansätze und eine gewisse Bestätigung. Für die Skeptiker unter uns – die das Thema eher mit einer wissenschaftlichen Perspektive betrachten, gibt es keine Bestätigung – sondern eher es entstehen eher Fragen, die man mit der aktuellen Forschung nicht erklären kann. Vielleicht noch nicht – vielleicht nie?

Dr. med. Greyson lässt viele Menschen von ihren Erlebnissen erzählen. Er vergleicht viele Berichte miteinander, analysiert diese vergleicht, berechnet sie im Verhältnis zueinander. Doch dieser Ergebnisse sind tendenziell auch keine Beweise – sie sind bestenfalls Anhaltspunkte, mathematische Wahrscheinlichkeiten den Tod zu überleben.

Philosophisch stellte sich die Frage: „Hat Gott die Naturgesetze, die Physik erschaffen“? Hat Gott in seiner Weisheit und Voraussicht es uns ermöglicht zu forschen? Eine weitere Frage: Kann unser Intellekt alle Fragen beantworten – gerade wenn es darum geht: Raum – Zeit – Quantentechnologie – Dimensionen usw. metaphysisch zu hinterfragen? Wir kommen immer wieder an unsere Grenzen. Wir überschreiten sie und stehen wieder vor einer Mauer, eine Grenze, die uns als zu hoch erscheint.

„Nahtod – Grenzerfahrungen zwischen den Grenzen“ ist mehrdimensional aufgebaut und balanciert auf dem schmalen Grad zwischen Religion und Wissenschaft, und das wirklich sehr gut. Sprachlich sauber und offen in der Kommunikation erreichen uns die persönlichen Erzählungen und konfrontieren uns mit Wahrscheinlichkeiten und einer Hoffnung, derer man sich schwer entziehen kann. Es kommt sehr darauf an, ob man sich schon vorher mit dem Thema befasst hat, oder hier „Neuland“ betritt.

Fazit

„Nahtod – Grenzerfahrungen zwischen den Welten“ ist absolut zu empfehlen. Für alle Anhänger, der Religionen, für alle philosophischen Geister und alle bodenständigen Wissenschaftsanhängern gibt es hier Botschaften, die ihnen da abholen wo man gerade steht und dahin führt – wohin man ggf. auch will.

 

Michael Sterzik