Freitag, 16. Dezember 2022

Schneegrab - Michelle Paver


Die Berge – besonders die 8000er im Himalaya umgibt eine Aura der Mystik. Im Sonnenschein erscheinen sie uns majestätisch, bedrohlich und wir begegnen ihnen mit einem gewissen Respekt. Für jeden Bergsteiger und Alpinisten, mit einer gewissen Erfahrung bedeutet der Aufstieg, sich und den Berg zu besiegen. Doch jede Expedition ist trotz aller technischen Hilfsmittel, spezieller Kleidung und ggf. auch Kommunikation ein Wagnis unter Lebensgefahr. Die Bewohner, die am Rande dieser Berge leben, erkennen diese Naturgewalt und nicht wenige bezeichnen diese als „lebende“ und „denkende“ Persönlichkeiten.
Man mag darüber schmunzeln, aber ein Berg sollte man mit gebührendem Respekt begegnen – je näher man dem Gipfel kommt und man sich der Todeszone nähert, erfährt man, was „Angst“ bedeutet. Das Wetter kann in wenigen Minuten umschlagen, erbarmungslose Winde, die Temperatur sinkt, ein Sturm kommt auf, eine Lawine löst sich und verschlingt die Abenteurer, oder man stellt fest, dass man dem Berg nicht gewachsen ist…es gibt unzählige Gründe, dass ein Aufstieg scheitern kann.
Der Schauplatz dieses Romans ist der Kangchenjunga im Himalaya. Für viele Menschen umgibt diesen Berg ein Fluch. Die Geister verstorbener Bergsteiger führen andere in einen schrecklichen Tod, begraben unter Eis und Schnee, viele Leichen wird man niemals mehr finden, einige verbleiben für immer am Berg und markieren den Weg zum Gipfel.
Der Himalaya, 1935: Fünf Engländer brechen von Darjeeling aus auf, um den heiligen Gipfel des dritthöchsten Berges der Welt zu bezwingen. Je höher sie kommen, desto gespenstischer wird die Atmosphäre. Die Stimmung zwischen den Männern, vor allem zwischen den sehr ungleichen Brüdern Stephen und Kits, droht zu kippen. Immer klarer wird: Der Berg ist nicht ihr einziger Feind.
Während der Wind abflaut, wächst das Grauen. Gezeichnet von den Schrecken der extremen Höhe stoßen die Männer auf ein unheimliches Geheimnis aus der Vergangenheit, das nicht im Schnee begraben bleiben will … (Verlagsinfo)
„Schneegrab“ von Michelle Paver ist eine fiktive Geschichte, die wunderbar von Erfolg und Scheitern erzählt. Die Atmosphäre umfasst die Freundschaft einer Schicksalsgemeinschaft, die Liebe und Konkurrenz unter Brüdern, die Überschätzung der eigenen Kräfte und auch die Unterschätzung des Berges schlechthin.

Michelle Paver schreibt sehr eindrucksvoll. Leise Töne verwandeln die Handlung in einem Sturm der Spannung, die Dramatik steigert sich, je näher der Gipfel kommt. Die erzählerische Tiefe transportiert die Strapazen der Bergsteiger, die Ängste vor dem eigenen Versagen sehr bildgewaltig. Die Nächte in Eis und Schnee, das heulen des Windes, dass man auch als verbitterte Schreie nach Hilfe interpretieren kann – all diese Beschreibungen gehen unter die Haut.
Genau diese Stimmungsmache, das Aktivieren der Emotionen der Leser passt zu jedem Zeitpunkt.
Die Handlung umfasst Ereignisse der Vergangenheit, die sich nachhaltig bis in die gegenwärtige Besteigung auswirken. Schuld und Sühne können größer sein als der Berg selbst. Nicht nur die Besteigung wirkt thematisiert – gerade das Zusammenspiel, die Spannung unter den beiden ungleichen Brüdern nimmt viel Raum ein, und das so sensibel, dass die Zwischentöne perfekt dargestellt werden.
Viel Zeit nimmt sich die Autorin, um von den Sherpas und ihren Aufgaben, ihrer eigenen Lebensart und ihrer Religion und Glauben zu schreiben. Diese Detailtreue setzt sich dann auch in der Beschreibung und Methodik des Aufstiegs fort.
Die Figuren sind hervorragend beschrieben – ob nun tot, oder lebendig, oder irgendwas dazwischen. „Schneegrab“ kann man auch als geistreiche Gruselgeschichte beschreiben, mit viel erzählerische Tiefe, einer großartigen Sensibilität und einer hohen Dramatik.
Es spielt keine Rolle, ob diese Geschichte jetzt fiktiv ist, eine Legende den Kern dieser Geschichte darstellt, die Summe all dieser Handlungsstränge ist ein Roman, der stark erzählt ist und verdammt gute Unterhaltung bietet. Was man am Ende des Romans inzwischen glauben soll, löst die Autorin sehr geschickt – denn das kann sich der Leser selbst ausmalen.
Hervorzuheben ist der Ausdruck und der Stil, den die Autorin Michelle Paver einsetzt. Man fühlt sich in die Handlung versetzt und kann so an den Erfolgen und Misserfolgen der beiden Brüder teilnehmen.
Fazit
Ein tiefsinniges, sensibles Buch, dass durch eine hohe Spannung und eine tiefgehende Sensibilität überzeugt. Man möchte gar nicht mehr aufhören, zu lesen. Absolut zu empfehlen.

Sonntag, 11. Dezember 2022

Geisterschrein - Andreas Gößling


Gibt es eine „Liebe“, die den Tod überdauern kann, oder kann sich auch „Hass“ wie ein Fluch über die Grenzen von Raum und Zeit hinwegsetzen? Mit der Quantenphysik müssen wir umdenken, wenn wir über Materie, Dimensionen und Realitäten sprechen wollen. Es gibt ohnehin mehr unbefriedigte Fragen und noch viel mehr unglaubliche Antworten, die wir uns im Ansatz zwar theoretisch vorstellen können, aber praktisch unser jetziges Wissen noch aushebelt.

Energie – kann sie jemals verloren gehen, oder transformiert sich diese nur zu einem anderen Zustand? Wir sind wahrscheinlich alles andere als nur pure Materie aus Fleisch, Blut und Wasser usw. – aber das schlussendlich zu begreifen, dazu sind wir noch nicht bereit, oder wollen es auch nicht.

Der Bestsellerautor Andreas Gößling schreibt neben erfolgreichen Krimis und True Crime Thriller auch Sachbücher und Artikel zum Thema der kulturellen und mystischen Geschichte. Magie und Wissenschaft – oder ist Magie nur etwas was im Laufe der menschlichen Entwicklung verloren gegangen ist!?

„Geisterschrein“ ist der neueste Roman, ein Psychothriller von Andreas Gößling und genau diese Themen bilden das Fundament der Geschichte.

Pures Entsetzen erwartet Grete Reiter, als sie frühmorgens in der Suite eines Bangkoker Hotels erwacht: Miko, der mysteriöse Thailänder, in den sie sich nach nur einer Nacht rettungslos verliebt hat, wird eben aus dem 12. Stock in den Tod gestürzt. Grete flüchtet panisch zurück nach Deutschland, ebenso aus Furcht vor dem Mörder wie davor, dass man ihr den Mord anhängen könnte.
Wochen später mitten in Berlin. Unvermittelt steht Grete Mikos exaktem Ebenbild gegenüber: dem Archäologen Lenny Mong, der einem uralten Geheimnis auf der Spur ist - einem Kult, der zu unglaublichen Dingen imstande gewesen sein könnte. Auch dazu, die Grenze zwischen Leben und Tod zu überwinden? Entgegen aller Vernunft wächst in Grete die Überzeugung, dass Lenny Miko ist …(Verlagsinfo)

Wer sich mit diesen Themen noch niemals befasst hat und auch wenig mit Religion, Philosophie etc. anfangen kann, für den wird dieser Roman allzu verstörend sein. Den Sinn und die Botschaft der vorliegenden Handlung bleibt ihm verschlossen.

„Geisterschrein“ ist anstrengend zu lesen und das ist auch sehr der Hauptfigur „Grete Reiter“ zu verdanken. Sie könnte glatt einen Oscar für ihren Auftritt verlangen – in der Kategorie „Panikmache, Selbstbetrug und psychologische Labilität – andere literarische Konkurrenten hätten hier keine Chance.

Ihre Handlungen wirken immer recht abrupt – wilder Aktionismus vorherrschend. Das intelligente 1x1 von Ursache und Wirkung, und überhaupt von Auswirkungen auf überhastete Entschlüsse katapultieren sie fortwährend in eskalative Situationen. „Exit“ ausgeschlossen. Das mag unterhaltsam sein, doch authentisch ist es zu keinem Zeitpunkt. Die Handlung setzt sich auch von Krise zu Krise zusammen. Ein kurzes Luftholen gibt es nicht. Die Vermengung von Vergangenheit – Gegenwart – und Zukunft machen es nicht einfacher, der Story zu folgen.

Psychologischer Thriller sind schwierig zu schreiben. Andreas Gößling weiß, wovon er schreibt, wenn auch sein wissenschaftlicher und paranormaler Ansatz eher in einem Sachbuch besser platziert gewesen wäre, wie in einem Thriller zwischen den Welten.

Die Handlung wirkt und ist absolut verfahren – dass liegt wie oben beschrieben an der Hauptfigur „Grete Reiter“ – die absolut unlogisch und unglaubwürdig handelt und das über die gesamte Storyline. Ihr erzählerischer Raum nimmt auch so viel ein, dass alle anderen Figuren förmlich eliminiert werden.

All das nimmt der Handlung fast alles an Spannung. Alles läuft neben der Spur – alles querfeldein, ohne wissenschaftlich vielleicht etwas tiefer zu gehen. Die Ausgewogenheit zwischen Aberglauben und Wissenschaft ist in einer unbeschränkten Schieflage.

Fazit

„Geisterschrein“ ist ein wilder, psychologischer Rodeo Trip bei dem der Leser schnell abgeworfen wird. Aufsteigen empfohlen – aber überzeugende Unterhaltung bringt er nicht rüber. Schade. Dafür lese ich dann die lieber wissenschaftliche Artikel von dem Autor, die mich eher ansprechen.

Michael Sterzik



 

Sonntag, 4. Dezember 2022

Die Besten Thriller/Krimis 2022

Das Jahr neigt sich dem Ende zu und damit ist es an der Zeit rückblickend die Bücher zu betrachten, die ich in diesem Jahr am besten fand.


1. Natchez Burning/ Die Toten von Natchez – Greg Iles (Aufbau Taschenbuch Verlag)





2. Winterland/Blutland – Kim Faber/Janni Pedersen (Blanvalet)




3. Natrium Chlorid – Jussi Adler Olson – (dtv)



4. Never – Ken Follett (Bastei Lübbe)



5. Nebelopfer – Romy Fölck (Bastei Lübbe)



6. Der Böse Hirte – Jeffery Deaver (Blanvalet)



7. Schwarzlicht – Läckberg/Fexeus (Knaur)



8. Die fremde Spionin / Das zweite Geheimnis – Titus Müller (Heyne)




9. Der Aufstieg – Amy McCulloch (Piper)



10. Der Verdächtige – John Grisham (Heyne)



Ich danke den Verlagen für die Bereitstellung der Rezensionsexemplare.
Viel Spaß beim Lesen, oder beim Verschenken dieser Spannungsliteratur.

Lieben Gruß
Michael Sterzik




Die Besten Historischen Romane 2022

Es gab nicht viel historische Literatur, die mich absolut faszinieren konnte. Den Trend der Familiensagas konnte ich mich nicht anschließen.

Für das kommende Weihnachtsfest 2022 könnte sich der eine, oder andere Titel als Geschenk eignen, oder man genießt, wenn es die Zeit zulässt, diese spannenden und unterhaltsamen Bücher.


1. Verdunkelung – Simon Scarrow (Piper)



2. Der Schnitter und der Löwe - Toni Garber



3. Das Mädchen und der Totengräber – Oliver Pötzsch (Ullstein)



4. Im Bann des Adlers – Daniel Wolf (Blanvalet)



5. Die Henkerstochter und die schwarze Madonna Oliver Pötzsch (Ullstein)
Viel Spaß beim Lesen oder Verschenken.
Ich danke den Verlagen sehr für die Bereitstellung der Rezensionsexemplare.
Lieben Gruß
Michael Sterzik



Dienstag, 29. November 2022

Die Henkerstochter und die schwarze Madonna - Oliver Pötzsch

Der vorliegende Titel ist inzwischen schon der 9. Band der Reihe um die „Henkerstochter“ und die Familie Kuisl/Fronwieser.

Seit dem ersten Band ist viel passiert. Jahre sind vergangen und mit diesen Zeitstrahl sind inzwischen auch die Figuren dieser historischen Kriminalreihe viel älter geworden. Die Henkerstochter Magdalena hat zusammen mit dem ehemaligen Bader und jetzigen Arzt Simon eine Familie mit drei Kindern gegründet. Ihr Ehemann hat in München eine eigene Praxis eröffnet, die von den Mitbürgern ganz gut angenommen worden ist. Der alte Henker Jakob Kuisl geht auf die 70 Jahre zu. Er ist alt geworden, sein Haar und Bart wird grauer, und seine körperliche Stärke sowie seine bärenstarke Gesundheit wird schwächer denn je.

Der Unterhaltungswert ist auch im aktuellen Band nicht weniger hoch. Oliver Pötzsch konzentriert sich auf historische Ereignisse und seine unterschiedliche Handlungsorte wirken immer einladend. Altötting und die riesige Festung Burghausen sind die Schauplätze dieser Story. Wer die alte Burg selbst mal besucht hat, wird sich gut an die imposante Architektur und die ganz eigene Atmosphäre erinnern.

Wie schon in den vorherigen Bänden zuvor spielt die bayrische Politik eine nicht unerhebliche Rolle. Kurfürst Max Emanuel und der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Leopold geben eine kurze Vorstellung, wobei Max Emanuel, den man kennenlernen durfte, sich als talentierter Politologe entpuppt.

1681: Trotz seines fortgeschrittenen Alters macht der Schongauer Scharfrichter Jakob Kuisl noch einmal eine große Reise mit der Familie, eine Wallfahrt nach Altötting. Zur gleichen Zeit sich hochrangige Gäste im berühmten Pilgerort: Kaiser Leopold I. von Österreich und der Bayerische Kurfürst Max Emanuel wollen im Angesicht der Schwarzen Madonna ihre »Heilige Allianz« schmieden und sich im Kampf gegen die Türken verbünden. Doch dann wird ein Mann ermordet, und Kuisl ahnt, dass die Allianz verhindert werden soll. Zusammen mit seiner Tochter Magdalena und dem Rest der Familie macht er sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Mörder. (Verlagsinfo)

Der 9. Band umfasst eine ansehnliche Anzahl von Ermittlern – fast schon eine eigene, bayrische Sonderkommission aus Kuisl`s und Fronwiesers. Das Gleichgewicht zwischen brachialer Muskelkraft und einer hohen Intelligent ist somit auch hergestellt. Flankiert von viel Emotionen – allen voran eine gewisse Naivität, dicht gefolgt von dem Talent, mit dem Kopf durch alle Wände gehen zu wollen. Konflikte sind also vorprogrammiert, ebenso ein altes Geheimnis, dass Jakob Kuisl seiner Tochter anvertrauen will.

Die Spannung ist wie gewohnt vorhanden, teilt sich aber auf in viele Nebengeschichten auf. Jede Hauptfigur hat sprichwörtlich eine Aufgabe übertragen bekommen – nein nicht vom Autor – sondern von anderen Figuren auferlegt. Zählt man also die Familienmitglieder durch, kommt man auf eine beträchtliche Summierung von Nebengeschichten. Die Hauptstory teilt sich somit in vielen Einzelfragmenten auf. Spannung also vorhanden – aber etwas von einer authentischen Realität entfernt.

An Dramatik fehlt es auch nicht – die steigert sich mit der Anzahl der Leichen, die der Mörder hinterlässt. Doch auch Jakob Kuisl und sein Enkel Paul tragen viel zu dabei, dass alle in Schwierigkeiten kommen. Und Simon Fronwiesers Mundwerk ist traditionell viel lockerer, als es für ihn selbst gut ist.

Das Motiv des mörderischen Attentäters ist etwas sehr gewagt und allzu fantastisch vorgestellt und Rache und Neid sind sowieso nie gute Ratgeber.

Emotional nimmt uns Oliver Pötzsch allemal mit. Allein das Schicksal von Jakob Kuisl gibt einem das Gefühl sich ggf. bald von ihm verabschieden zu müssen. Mit der Vergrößerung der Familie Kuisl/Fronwieser ergeben sich erzählerisch viele Möglichkeiten. Ein Generationswechsel des Henkers, vielleicht auch des Arztes usw. laden den Autor dazu die Reihe ggf. noch endlos fortsetzen zu können. Genau das ist der Schwachpunkt des Romans – zu viele involvierte Familienmitglieder, zu viele Nebenplots lassen die eigentliche Story qualitativ etwas untergehen und damit auch ein Stück weit die Atmosphäre. Die perspektivischen Wechsel der Erzähler sind für mich auch in Anzahl zu viel und damit ist manchmal weniger Action und Nebenhandlung besser für die eigentliche Geschichte.

Die ersten Romane dieser Reihe waren überschaubarer und wirkten nicht so überladen wie der vorliegender. Leider haben damit die Charaktere Jakob Kuisl und seine Tochter nur einen untergeordneten Fokus und eine sekundäre Gewichtung.

Viel Historisches erfährt der Leser auch nicht – keine Themen, die sich um den Beruf und die Tätigkeit eines Henkers beschäftigen und selbst der Beruf eines Arztes und seine Diagnosen und Behandlungsmöglichkeiten werden zu wenig thematisiert. Auch um die politische Lage und die Bedrohung durch die Türken wird fast kein Wort verloren.

Als Figur hat mit sehr der Kurfürst Max Emanuel gefallen – ein Charakter, der sehr tiefgehend dargestellt wurde und hoffentlich auch einen Platz im 10. Band finden wird. Insgesamt allerdings wäre es vorteilhaft, den Kreis der Hauptfiguren etwas auszudünnen.

Fazit

Ein fürstlicher, spannender historischer Roman, der es schafft den Unterhaltungswert hochzuhalten. Band 10 kann kommen und dieser könnte auch den Abschluss bilden. Diese historische Kriminalreihe muss man lesen sonst hat man etwas verpasst.

Michael Sterzik



Freitag, 25. November 2022

Drei fast geniale Freunde auf dem Weg zum Ende der Welt – Jonas Jonasson


Das Leben ist doch ernst genug – gerade in dieser Zeit, in der uns so viele unheilvolle Themen wie Klimakrise, Angriffskrieg und jetzt auch noch Energieengpässe, das Leben nicht gerade einfacher machen. Weg ist unsere Komfortzone und wir werden auf einmal und für unsere Verhältnisse viel zu schnell in einen Kessel von jetzigen und zu erwartenden Katastrophen katapultiert.

Also Zeit genug um über kommende Weltuntergänge zu philosophiere und ggf. auch mal aufatmend lachen zu dürfen. Der schwedische Autor Jonas Jonasson verwandelt unser bisweilen gehetztes Leben mit seinem neuesten Titel: „Drei fast geniale Freunde auf dem Weg zum Ende der Welt“ in eine muntere und fröhliche Momentaufnahme.

Drei charmante Außenseiter, von einem kuriosen Zufall zusammengeführt, brechen mit einem bunt angestrichenen Wohnmobil auf, um die Welt ein bisschen gerechter zu machen. Dabei lassen sie sich weder vor arroganten Diplomaten-Brüdern noch von einem eigenwilligen Herrscher auf einer Insel im Indischen Ozean aufhalten. Mit Witz und Phantasie verwandeln sie ihr Wohnmobil in ein Gourmet-Restaurant und schlagen sogar aus dem vermeintlichen Ende der Welt noch ein bisschen Glück für sich heraus. (Verlagsinfo)

Der Aufhänger in der Story macht eine introvertierte Weltuntergangsprophetin, die sich eigentlich nur in Ruhe aufhängen möchte, dass sie dabei von einem Auffahrunfall gestört sie, wirkt sehr irritierend für sie. Und so beginnt mit dem Lebensretter wider Willen eine schräge, aber starke Freundschaft.

Und so kurz vor dem Weltuntergang hat man ja Zeit sein Leben etwas zu reflektieren um die eine, oder unfaire Situation in der Vergangenheit aufzuarbeiten. Es folgt eine Tour durch Europa um genau diese kruden Lebenslinien glattzuziehen.

Die Story ist typisch für den Autor. Der Humor zeigt sich absolut variabel, von absolut schrägen Ideen, wechseln wir zu netten Wortspielchen und amüsanten Dialogen, die auch vor der ideologischen Weltpolitik keinen Halt machen. Sein demokratisches Weltbild der Politik, der Kultur usw. umschreibt er mit viel Situationskomik und mit noch mehr originell witzigen Dialogen und Gedankengängen.

Die Charaktere und nicht die Story selbst sind verantwortlich für dieses unterhaltsame Werk, dass ich nicht wegen des Humors empfehlen kann. Es sind auch die philosophischen Ansätze, die augenzwinkernd uns vor Augen führen, dass wir hin und wieder unser Leben aufräumen müssen, um nun jetzt, oder Jahre später. Es holt uns alles ein – und die Freundschaft und die Liebe – vielleicht ist dies das wichtigste auf der Welt.

Jonas Jonasson Stil ist unverwechselbar. Manchmal verliert er sich in Details, dann wenig später so ausufernd, dass sich fragt wo will er mit der Story überhaupt hin. Der Humor wird nicht alle Leser erreichen. Es kommt darauf an, ob es für den Leser die richtige Zeit ist, einfach mal loszulassen, sonst kann der Erzählung ggf. weniger abgewinnen. Es lohnt sich also – vielleicht auch für den gestressten Leser später noch einmal zu dem Buch zu greifen, wenn dieser im Leben entspannter ist.

Fazit

Ein schräger Roman, der uns auf eine unterhaltsame Reise zu uns selbst führt. Der Sinn des Lebens und der Freundschaft aufs Papier gebracht. Großartig und sensibel. Ein Buch für das kommende Weihnachtsfest, wenn es auch neben der Besinnlichkeit etwas lustig zugehen darf.

Michael Sterzik

 

Montag, 21. November 2022

Die Toten von Natchez - Greg Iles


Der zweite Band der „Natchez-Trilogie“ knüpft unmittelbar an den blutigen und actionreichen Showdown des ersten Bandes – „Natchez Burning“. Der vorliegende Band „Die Toten von Natchez“ ist weitaus politischer erzählt, wie sein Vorgänger. Wer ermordete J.F. Kennedy in Dallas? War es Kuba, der einen Mordauftrag erteilte, oder war es die CIA selbst? Hatte die Mafia ihren Finger am Abzug des Gewehres, dessen Geschoss den Kopf des amtierenden Präsidenten förmlich hat explodieren lassen, oder hat gar der KGB einen politischen Mord ausgeführt? Auch die Theorie, dass es innere Interessengruppen der USA zuzumuten ist – könnte durchaus der Wahrheit entsprechen. Wer die Verantwortung trug, kann man bis dato nicht beweisen. Vielleicht sind die Mörder auch schon verstorben, oder selbst getötet worden und begraben damit die Wahrheit! Doch die Legende und die Frage nach dem „Warum?“ – „Wer und Weshalb“ wird uns weiterbewegen.

Die „Sünden alter Väter“ – genau darum geht es nun. Jedenfalls geht es spannend weiter und noch immer sind alle Parteien im Spiel und sind in Gefahr alles zu verlieren. Um diese Sünden gruppieren sich dann gleich viele Geheimnisse, viele Lügen und viele unausgesprochene Wahrheiten, die ganz sicher für diese hohe Dramatik stehen.

Penn Cage, der Bürgermeister von Natchez, und seine Verlobte, die Chefredakteurin Caitlin Masters, sind einem Anschlag entkommen, hinter dem die Doppeladler stecken, eine rassistische Organisation, die seit den sechziger Jahren ihr Unwesen treibt. Aber die Gefahr ist keineswegs beseitigt. Forrest Knox, ausgerechnet der Chef der State Police, ist der wahre Kopf der Doppeladler. Er will verhindern, dass Penn Beweise vorbringt, welche Morde die Doppeladler begangen haben. Doch Penn hat eine Spur, um die Toten zu finden. Sie führt in die Sümpfe des Mississippi River.(Verlagsinfo)

Greg Iles Talent, eine solch komplexe Story über 2000 Seiten hinweg spannend zu erzählen, ist grandios. Der Aufbau des zweiten Bandes ist identisch mit dem des ersten, die Rückblenden in die Vergangenheit, der Wechsel der erzählerischen Perspektiven. Die Vermengung von Fiktion und Fakten. Hier wird dem Leser eine Unterhaltung geboten, die Breitbandkino ist und man sich doch öfters fragt, wie man das filmisch, als Serie umsetzen könnte.

Inhaltlich wird es manchmal etwas zu wild, manchmal auch zu unrealistisch, wenn Tom Cage eine physische und psychische Gesundheit zeigt, die fast unmenschlich ist. Doch wer weiß, dass schon wie man ggf. selbst in solchen Extremsituationen handelt und (über)lebt.

Es gibt großartige Momente, denen man folgt. Es gibt auch einzelne Handlungen, bei denen man sich fragt: Warum stellt sich bei dem einen oder anderen Charakter die Intelligenz auf „Winke-Winke“ ein !? Unüberlegte Handlungen, die im puren Aktionismus, die Gesamtsituation noch weiter eskalieren lassen?! Ja klar, das ist spannend und der Unterhaltung förderlich, doch manchmal eine arge „Räuberpistole“. Also halten wir als kleinen Meilenstein fest – es ist und bleibt spannend in dem zweiten Band. Jetzt aber zur verwandten Dramatik. Diese ist beispiellos hervorragend, und mit einer solchen auch traurigen Atmosphäre verbunden, dass man am liebsten zum Kleiderschrank geht und zu schwarzer Kleidung greifen möchte. Wer dabei ein paar Tränen vergisst, sollte sich nicht schämen. Das Ereignis geht unter die Haut.

Betrachten wir uns die Gruppierungen – damit meine ich die Fraktion der rassistischen Doppeladler, so personifizieren und reservieren sie sich gleich einen Kreis in der Hölle. Ebenfalls ist es nicht zu verhindern, dass die „Guten“ satte graue Flecken auf ihrer ehemals weißen Westen bekommen. Da hilft dann auch keine moralische Fleckenlösung mehr – die wirst du nicht mehr los.

Der zweite Band endet zwar nicht in einem feurigen Fiasko, aber dafür greift man dann halt doch zu Schwert und Speer, wenn die persönliche Ehre und etwas Rache das sowieso angeknackste Nervenkostüm zertrümmern.

Bei allen Ereignissen schwebt der Mord an JFK über den Köpfen der Protagonisten. Schade – denn damit klärt sich noch lange nicht der Mord an der ehemaligen Geliebten und Kollegin von Tom Cage. Leider werden auch die übrigen Morde viel zu wenig thematisiert.

Letztlich bleibt allerdings zu sagen, dass der Roman „Die Toten von Natchez“ ein Pageturner ist. Aber wie schon bei Band 1 – kein Roman, den man aus den Händen legen möchte. Das empfehle ich auch nicht – denn man muss sich schon konzentrieren, um die Atmosphäre genießen zu können und die hohe Spannung.

Fazit

Greg Iles schuldet mir ein paar schlaflose Stunden. Ein Pageturner mit einer Spannung, und einer durchrüttelnden Dramatik, die alle Emotionen mehrfach auf „On“ stellt. Absolut zu empfehlen.

Michael Sterzik