Donnerstag, 3. Oktober 2024

Memento - Matt Basanisi und Gerd Schneider


Die nukleare Abschreckung funktioniert - bisher jedenfalls. Das „Gleichgewicht“ der Menge der Atombomben, der Abwehrmaßnahmen - jede Eskalation - jeder Angriff würde die Vernichtung der eigenen Bevölkerung, des eigenen Staates bedeuten. 

Es gibt internationale Kontrollbehörden, und natürlich haben die Großmächte, aber auch kleinere Staaten ein Interesse daran, dass instabile, vielleicht fanatische Staaten keinen Zugang zu dieser Vernichtungswaffe bekommen.

Allein die Vorstellung, dass eine schmutzige Bombe von radikalisierten terroristischen Gruppen eingesetzt werden könnte, ist ein Alptraum. Aber die Gefahr ist real, und sie könnte einen Weltenbrand auslösen. 

Der Feind meines Feindes ist mein Freund! In dieser Aussage steckt ein Fünkchen Wahrheit, und die Vernetzung und die Interessen der verschiedenen Geheimdienste sind selbst für sie ein Labyrinth ohne wirklichen Ausgang. Und wenn wir das Ganze nicht so sehr aus militärischer Sicht betrachten, sondern aus der Sicht der Gier des Einzelnen, dann haben wir eine gefährliche Unbekannte - denn jeder hat jenseits von Moral, Verantwortung und Vernunft seinen Preis für einen Verrat.

Das Autorenduo Basanisi und Schneider thematisieren den Handel mit Plänen für Atomwaffen. Ein Spielzeugladen der Hölle. 

Bern, 2004: Nach seiner Rückkehr in die Schweiz ermittelt David Keller im Fall eines ermordeten UNO-Diplomaten in Genf und wird in den Schweizer Nachrichtendienst versetzt. Als Geheimagent wider Willen macht sich Keller auf die Jagd nach Abdul Qadeer Khan, dem Vater der pakistanischen Atombombe und fanatischen Anführer eines geheimen Netzwerks von Nuklearwaffenhändlern. Unvermittelt findet sich Keller in einer globalen Schattenwelt skrupelloser Geschäftsmänner, Diktatoren und Geheimdienste wieder. Als Keller selbst zur Zielscheibe der CIA wird, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Beim Versuch, eine nukleare Katastrophe zu verhindern, tauchen plötzlich die Geister der Vergangenheit wieder auf – jene, die er bereits für tot erklärt hatte. (Verlagsinfo)

„Memento“ ist ein Spionage- und Politthriller. Die Interessen der Geheimdienste, wenn eine nukleare Katastrophe droht, sind abhängig von Allianzen, Versprechungen und allerlei unbekannten persönlichen Machtansprüchen innerhalb des eigenen Staates. Die beiden Autoren zeigen uns ein realistisches Schreckensszenario, das sich in der Vergangenheit ähnlich abgespielt hat oder abspielen wird. 

Wer über Nukleartechnologie und das Wissen um deren Anwendung verfügt - und wer bereit ist, zum Waffenhändler des Todes zu werden - wird schnell zum Spielball mächtiger Geheimdienste, Diktatoren und einflussreicher Konzerne. Die Gefahr, dass man dann dem Tod näher ist als dem versprochenen Geld, liegt auf der Hand. 

Die Handlung lebt nicht nur von einer gewissen Realitätsnähe, die ein solcher Roman auf jeden Fall haben muss, sondern auch von plausiblen, nachvollziehbaren handelnden Personen. 

David Keller - als Hauptfigur - ist kein James Bond der alten Schule. Ein Charakter, der sehr eigensinnig dargestellt wird, der Probleme mit Vorgesetzten aller Art hat und zwischendurch den Ärger sucht und auch findet. 

Interessant ist, dass sie aus der Schweiz kommen - denn so neutral, wie sie sich selbst beschreiben, sind sie dann doch nicht. Ob die politischen, geheimdienstlichen Verstrickungen wirklich realistisch sind - wer weiß - aber abwegig ist es auch nicht.

Die Spannung ist allgegenwärtig, wenn auch fast immer auf dem gleichen Niveau. Zwischendurch gibt es auch ein wenig „Gewalt“ - dafür sind die Ziele und Methoden der Geheimdienste - allen voran der CIA - umso interessanter. 

Es ist schwer zu verstehen, dass alle nicht unbedingt lösungsorientiert handeln. Behörden / Justiz / Militär / Geheimdienste / - alle Instanzen versagen, weil sie nicht mutig handeln und alles in allem unsicher sind. Die Tatsache, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht, macht sie nur dramatischer, aber nicht verständlicher.

Es gibt auch durchaus Längen im Roman und wer pure Action erwartet, wird enttäuscht werden. Trotzdem ist dieser Roman, wie auch sein Vorgänger „Skorpion“, sehr zu empfehlen. Ein nachhaltiger Einblick in den Handel mit Atomwaffen, der so realistisch ist, dass er keine Räuberpistole ist und sich auch nicht als Gute-Nacht-Geschichte eignet. 

Fazit

Spione - Atomwaffenhandel und politische Interessen. Ein Thriller der Extraklasse, der gut ist - weil er jederzeit von einer bedrohlichen Realität erzählt.

Michael Sterzik

Samstag, 28. September 2024

Winterwölfe - Dan Jones


Der vorliegende Titel ist der zwei Band der Essex-Dogs Reihe des britischen Historikers Dan Jones. 

Der Hundertjährige Krieg in seiner Anfangsphase zur Durchsetzung des Anspruchs auf den französischen Königsthron. Mit aller Gewalt - kompromisslos und konsequent wurde nicht nur auf dem Schlachtfeld gekämpft. Es waren nicht nur die edlen, meist adligen Ritter, die sich in einem Kampf auf Leben und Tod gegenüberstanden, sondern meist einfache Soldaten, zum Kriegsdienst gezwungene Vasallen der verschiedenen Herrscherhäuser. Aber auch Söldner kämpften gegen Bezahlung gegen den „Feind“.

Die französische Zivilbevölkerung wurde von den Invasoren in ihren Dörfern, kleinen und großen Städten misshandelt. Viele Städte wurden belagert, immer wieder angegriffen und endlos bombardiert. Eine psychische und physische Folter, die auch Hungersnöte mit sich brachte, wenn die Vorräte vernichtet oder aufgebraucht waren. Die hygienischen Verhältnisse verschlechterten sich, Krankheiten und Seuchen breiteten sich unter der verängstigten Bevölkerung rasant aus.

Der Krieg zerstört sehr schnell die Menschlichkeit - auf beiden Seiten - ob man nun Gewalt ausübt oder ihr zum Opfer fällt. Er hinterlässt unweigerlich Narben auf der Seele, die auch die Zeit nicht heilen kann. 

Der Autor Dan Jones erzählt sehr eindringlich und nachhaltig von den Schrecken des Krieges, von Belagerungen, Plünderungen, Kriegsverbrechen - aber auch von der psychischen Gewalt, von posttraumatischen Erlebnissen, die zerstörerisch sind.

Ende August 1346: Die große Schlacht bei Crécy ist geschlagen. Die erschöpften Essex Dogs wollen nach Hause, doch der englische König hat anders entschieden: Noch weiter im Norden liegt die reiche Hafenstadt Calais. Während der winterlichen Belagerung werden die Söldner zu einsamen Wölfen... Im zweiten Teil seiner Essex-Dogs-Trilogie lässt Dan Jones seine Leser ganz tief eintauchen in ein dunkles Mittelalter, in dem die zarten Flammen an Menschlichkeit, Sehnsucht und Liebe nur umso heller leuchten.

Mit französischem Terrain sind die englischen Söldner mittlerweile vertraut. Aber eine monatelange Belagerung einer Stadt und ihrer Bewohner – das ist auch für Männer, die schon alles gesehen haben, eine brutale Erfahrung. Wofür und gegen wen kämpfen sie hier? (Verlagsinfo)

„Winterwölfe“ ist etwas weniger actionreich als sein Vorgänger. Gekämpft wird natürlich auch, aber der Fokus liegt diesmal mehr auf den Charakteren, die durch ihre ganz persönliche Hölle gehen. Ehre und Ruhm, Pflichtbewusstsein und Kameradschaft - ja, all das kommt vor und wird auch thematisiert. Die „harten“ Essex Dogs zeigen nun auch ihre menschliche Seite. Immer wieder die Hoffnung, heil in der Heimat England anzukommen. Geld spielt als Motivation immer weniger eine Rolle. Das Überleben zählt, aber auch das verdammte Pflichtgefühl sich um seine Kameraden zu kümmern, egal wie aussichtslos das eine oder andere Himmelfahrtskommando auch sein mag. 

Es gibt Tote - von der einen oder anderen Figur muss man sich im Laufe der Handlung verabschieden. Von der ursprünglichen Zahl dieser Gruppe bezahlter Söldner ist nicht mehr viel übrig geblieben. Und diese dezimierte Zahl wirft die Frage auf, wie es im dritten Band weitergehen wird.

Historisch erzählt ist „Winterwölfe“ sehr gut. Das darf man von einem Historiker auch erwarten. Die Situation einer sehr langen Belagerung, und wir reden hier nicht von ein paar Tagen, wird sehr realistisch dargestellt. Das Eintreffen der Kanonen, das ständige Feuer auf die Mauern einer Stadt, deren Zivilisten unschuldig sind. Die Erwartungshaltung des herrschenden Adels, dem ein Menschenleben nichts bedeutet. Die Kluft zwischen dem Adel und dem einfachen Soldaten wird immer wieder thematisiert und dramatisiert, auch das Ausgeliefertsein, wenn absolut sinnlose Befehle ausgeführt werden müssen.

Manchmal wirkt die Geschichte ermüdend, vor allem dann, wenn die einzelnen Perspektiven der Figuren an der Reihe sind. Viele dieser Szenen zeigen die Verlassenheit, die Verzweiflung und den schwindenden Glauben, den Krieg überleben zu können.  

Die beiden historischen Romane von Dan Jones sind harte und grausam erzählte Momentaufnahmen des Hundertjährigen Krieges. Für Leser, die immer noch das Bild eines glorreichen und moralischen Ritters vor Augen haben, sorry - dieses idealisierte Bild taucht an keiner Stelle auf. Dan Jones erzählt das Töten, Sterben und Leiden absolut schonungslos und eine klassische, romantische Liebesgeschichte wird man hier auch nicht finden. 

Fazit

Der Alptraum des Krieges - sehr menschlich und packend dargestellt. Realistisch und nachhaltig verstörend zeigt uns Dan Jones die Bestie Krieg, die alles verschlingt - Täter wie Opfer.

Michael Sterzik

Freitag, 27. September 2024

Aschezeichen - Katrine Engberg


Liv Jensen bekommt einen neuen Fall auf den Tisch: Ein iranisch-dänischer Mann wurde mit aufgeschnittener Kehle auf der Insel Vorsø gefunden. Von seinen beiden jugendlichen Kindern, mit denen er dort zelten war, fehlt jede Spur. Falls sie den Täter gesehen haben, schweben sie in höchster Gefahr. Livs Ermittlungen führen sie allerdings zunächst in eine ganz unerwartete Richtung: Sie stößt auf einen jungen Flüchtling und ein Verbrechen, das 30 Jahre zuvor im Auffanglager Sandholm begangen und bis heute nicht aufgeklärt wurde. Was Liv nicht ahnt: Shirin, die Tochter des Ermordeten, ist ganz in ihrer Nähe. Sie hat Zuflucht bei Nima Ansari gefunden, einem Freund der Familie, der vor vielen Jahren aus dem Iran floh und heute Livs Nachbar ist. (Verlagsinfo) 

Dies ist das erste Buch, das ich von Katrine Engberg gelesen habe. Es ist bekannt, dass skandinavische Thriller sehr unterhaltsam und spannend sind und meistens auch sehr tiefgründig. Der vorliegende Roman „Aschezeichen“ bietet leider nichts von alledem. Es fängt schon damit an, dass der Einstieg in die ersten Kapitel schleppend verläuft. Die Protagonisten tauchen einfach auf und werden nicht einmal ansatzweise systematisch in die Handlung eingebaut. Was sie miteinander zu tun haben - das bleibt zunächst ein kleines Rätsel. 

Die Charaktere sind nicht transparent genug und entweder gibt es zu viele Informationen, die nicht wichtig sind, oder es bleiben viele Fragen offen! 

Interessant, informativ und sogar spannend sind die Beschreibungen und Einblicke in die Auffanglager der Flüchtlinge, die in Dänemark ihren Frieden finden wollen. Weit weg von Krieg, Zerstörung, Verfolgung und Angst. Der Blick auf die Bürokratie, das bange Warten auf die erlösende Aufenthaltsgenehmigung, die täglichen Herausforderungen des Lagerlebens - all das ist hervorragend und packend geschrieben. 

Die Handlung ist - abgesehen von den Rückblenden in die Vergangenheit - mehr als langatmig. Viele überflüssige Szenen, viele private Nebenhandlungen, die weder zur Entwicklung der Geschichte noch der Charaktere beitragen. So kommt keine Spannung auf. 

Stil, Ausdruck und Sprache von Katrine Enberg sind gut - aber das hilft nichts, wenn sie sich dabei selbst in ein erzählerisches Labyrinth transportiert und planlos umherirrt. 

Fazit

Ein langatmiger und wenig spannender Roman, der weder durch seine Handlung noch durch seine Charaktere überzeugen kann. Michael Sterzik

Donnerstag, 12. September 2024

Dem Tod auf der Spur - Prof. Dr. Michael Tsokos


Das Leben schreibt die besten und auch die grausamsten (Mord-)Geschichten. Wenn wir beim Lesen eines Krimis/Thrillers denken, dass die Geschichte zu abgedreht, zu unrealistisch ist, würden wir nicht auf die Idee kommen, dass sie vielleicht viel näher an der Realität ist, als wir es uns zunächst vorgestellt haben.

Menschen sind kreativ, wenn es darum geht, sich das Leben zu nehmen oder jemanden zu töten. Prof. Dr. Michael Tsokos ist der bekannteste Rechtsmediziner unseres Landes. In diesem Buch schildert er aus seiner persönlichen und beruflichen Vergangenheit 13 Fälle, die zum Teil schonungslos und brutal beschrieben werden. Trotzdem geht von diesen Schilderungen eine morbide Faszination aus.

Im Fernsehen wird das Arbeitsumfeld und die Tätigkeit eines Rechtsmediziners völlig übertrieben dargestellt. Nicht nur die Sektion einer Leiche, sondern ggf. auch eine sehr abenteuerliche Analytik und Ermittlungsthematik entsprechen überhaupt nicht der Realität. „The Show must go on“ im Film und dieses Buch ist nicht nur spannend, sondern auch ein kleines Wikipedia der Rechtsmedizin. 

Der Autor Prof. Dr. Michael Tsokos räumt mit vielen Vorurteilen, Vermutungen und Klischees auf und vermittelt dem Leser eine kurze, aber intensive Momentaufnahme eines Tatortes und seiner eigenen Tätigkeit.

Die Koryphäe der Rechtsmedizin Prof. Dr. Michael Tsokos wird zu Rate gezogen, wenn festgestellt werden muss, ob Selbstmord, ein Unfall oder doch Mord die Todesursache war. Seine rechtsmedizinische Expertise trägt maßgeblich zum Erfolg der Ermittlungsarbeit der Behörden bei. So ist der Rechtsmediziner regelmäßig als Experte im In- und Ausland tätig, beispielsweise für das BKA bei der Identifizierung der Opfer von Terrorangriffen und Massenkatastrophen. (Verlagsinfo) 

Die Schilderungen der Tatorte und der Leichen der Mordopfer sind drastisch. Wie gesagt, die Kreativität, den Tod herbeizuführen, ist erschreckend und sicherlich sind die Ermittler, die Gerichtsmediziner und auch die Justiz geschockt, und das vielleicht sehr nachhaltig. Die Spuren des Todes - sie sind vielfältig, sowohl physisch als auch psychisch interpretierbar. 
„Dem Tod auf der Spur“ - ist auch ein kleines Mini-Lexikon der Untersuchungsmethoden eines Gerichtsmediziners. Interessant, spannend und wissenschaftlich erklärend gibt es dem Tatortzuschauer einen guten Einblick in diese Welt des Todes.

Dennoch denkt man am Ende auch an die Hinterbliebenen, deren Welt sich völlig verändern wird, ebenso begegnen wir den Tätern vor Gericht, die möglicherweise wenig Reue und Einsicht zeigen. 

Der Erzählstil von Prof. Dr. Michael Tsokos ist nicht reißerisch oder übertrieben, sondern immer mit einem feinen, manchmal humorvollen Unterton durchsetzt. Der Titel ist auch nicht als Roman, sondern eher als Sachbuch einzuordnen.

Fazit

Spannende Einblicke in die Welt des Todes. Die Spuren des Todes - sie sind blutig, erschreckend, erschütternd und zeugen gegebenenfalls auch vom Schicksal des Verstorbenen. Ein interessanter und lehrreicher Einblick in die Welt der Rechtsmedizin.

Michael Sterzik


Dienstag, 3. September 2024

Essex Dogs- Dan Jones


Es gibt sehr viele Sachbücher und historische Romane, die sich mit dem Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich beschäftigen. 

Diese Erzfeindschaft kostete Tausenden von Menschen das Leben, ob Ritter oder Knecht. Der Tod machte keine Ausnahme und der Krieg wurde brutal und zerstörerisch geführt. Terror, Brutalität und Willkür - die Gier nach Macht und Einfluss, nach Beute und Ruhm - die Motive waren unterschiedlich und doch gleich.

Dan Jones - der Autor des vorliegenden Romans: „Essex Dogs“ ist eigentlich Sachbuchautor über die Geschichte des englischen Königtums im Mittelalter und ein hervorragender Historiker, der aber auch gerne im Rampenlicht steht. Seine Themen sind unter anderem das Haus Plantagenet, die Rosenkriege Heinrichs VIII. und alles rund um die Geheimnisse der britischen Burgen. 

Zurück zum 100-jährigen Krieg. Die Sicht der Könige, der Soldaten, der Kirche, des Adels und der leidgeprüften Zivilbevölkerung - all diese Perspektiven wurden in unzähligen historischen Romanen verarbeitet. Nun kommt der einfache Söldner zu Wort, ein Soldat, der nur für Geld kämpft und tötet.

Interessant ist aber, dass nun ein Historiker einen Roman und kein Sachbuch schreibt. Die Grenze zwischen fachlichen Fakten und spannender Unterhaltung ist also nicht einfach zu ziehen.

Dan Jones hat mit den Essex Dogs zehn starke Charaktere geschaffen, die uns den Hundertjährigen Krieg hautnah miterleben lassen – von ganz unten, wo Schlamm, Blut, Hunger, Angst und unstillbare Sehnsucht herrschen, wo die Mächtigen als skrupellose, lächerliche Gestalten erscheinen und an jeder Ecke Gefahr lauert.

Pismire ist klein und kann überall durchschlüpfen. Scotsman, der Größte, kann Wände einreißen. Der Steinmetz Millstone ist zu allem bereit, um die anderen zu beschützen. Für den abgedrehten Priester Father ist der Krieg zum Lebenselixier geworden. Romford, der Jüngste, kann gut mit dem Bogen schießen, wird aber zum Pagendienst beim ebenfalls erst sechzehn Jahre alten Prinzen von Wales abkommandiert. Und Loveday, der kampferprobte Anführer, der seine Dogs heil nach England zurückbringen will, begegnet einer mysteriösen Frau, die ihn nicht mehr loslässt …(Verlagsinfo) 

„Essex Dogs“ ist eine sehr genaue historische Geschichte. König Edward III. und sein Sohn, der „Schwarze Prinz“, begannen den Hundertjährigen Krieg mit einer Invasion Frankreichs, um den französischen Königsthron zu erobern. Angriffsziel war die Normandie, wo Edward mit 15.000 Soldaten landete. Für die Engländer kämpfen die Essex Dogs, eine fiktive bunte Söldnertruppe.

Geschickt ist die Gestaltung der so unterschiedlichen Charakterköpfe innerhalb dieser ehrgeizigen Gruppe. Am Ende des Romans überleben nicht alle und am Ende ist sich fast jeder selbst der Nächste und die individuellen Karrieren und Schicksale dieser Söldner bilden den Kern der Handlung. Das Kriegshandwerk wird sehr bildhaft geschildert, ebenso die Kriegsverbrechen, die willkürliche Brutalität und das Morden in den eroberten Städten. Auch das einfache Leben der Soldaten, die auf Gedeih und Verderb der Willkür ihrer Befehlshaber ausgesetzt waren und so mancher Einsatz eher ein Himmel- oder Höllenkommando war, kommt hier zu seinem Recht.

Viele kleine Szenen und Dialoge finden sich auch in historischen Quellen wieder, wenn man sich die Mühe macht zu recherchieren. Ob sie ins Reich der Legende gehören oder sich tatsächlich so zugetragen haben, lässt sich nicht feststellen. 

Dan Jones hat als Historiker sehr viel Wert darauf gelegt, die historischen Personen so genau zu zeichnen, wie es die Quellen hergeben, und sie werden hervorragend als fehlerhafte Menschen dargestellt. Im Grunde wird in diesem Titel wirklich nichts romantisiert, also edle Ritter, weise Könige und böse Franzosen wird man hier nicht finden. Schade ist allerdings, dass die Geschichte nur aus der Sicht der Eindringlinge geschildert wird - die Franzosen sind eher stumm.

Wer hier vielleicht eine Liebesgeschichte erwartet - wird enttäuscht. Besagte Frau, die im Klappentext erwähnt wird, ist eher oder vielleicht noch eine Randfigur und weit davon entfernt, in eine klassische Liebesgeschichte verwickelt zu werden.

Man merkt dem Roman sehr schnell an, dass sich der Autor eher im Genre Sachbuch zu Hause fühlt. Spannend wird die Geschichte nur durch die Figuren, ansonsten fehlt ein wenig der „rote“ Faden einer Handlung. Vielleicht wird die Geschichte im zweiten Band etwas strukturierter.

Fazit

Der Hundertjährige Krieg im Breitbildformat. Schmutzig, böse und realistisch wird hier das blutige Handwerk des Krieges historisch genau gezeigt. Spannender Geschichtsunterricht der Extraklasse.

Michael Sterzik

Mittwoch, 21. August 2024

Die Stauffenbergs - Charlotte Roth


Claus Schenk Graf von Stauffenberg ist die Symbolfigur des 20.Juli 1944 – der das Attentat auf Adolf Hitler ausführte und leider scheiterte. Doch Stauffenberg war nicht der einzige Widerstandskämpfer in den Kreisen der Offiziere, die Verschwörer hatten ein fabelhaftes Netzwerk das nicht nur aus Offizieren bestand, sondern auch Aristokraten, Menschen aus der Wirtschaft, der Justiz, der Religion. Insgesamt umfasste der Personenkreis 200 Menschen, die sich gegen den Nationalsozialmuss auflehnten und mit dem Attentat auch eine Botschaft an die Alliierten senden wollten. 

Nach dem gescheiterten Attentat und noch Monate später wurden zahlreiche Verschwörer von den Nazis ermordet. Stauffenberg und weitere Offiziere wurden noch in der Nacht des 20. Juli 1944 im Bendlerblock standrechtlich erschossen. 

Doch wie war Stauffenberg als Mensch, als Vater, als Ehemann, als Freund? Es gibt unzählige Quellen und Dokumentationen, die uns den Menschen Stauffenberg objektiv vor Augen führen. 

Charlotte Roth zeigt uns die „Die Stauffenbergs“ in ihrem gerade veröffentlichten Roman und präsentiert uns nicht nur eine spannende Geschichte, sondern auch eine emotionale und menschliche Momentaufnahme des Widerstandskämpfers und auch seiner Familie. 

Sie ist die Tochter des fränkischen Generalkonsuls und einer baltischen Freifrau. Er ist der jüngste Spross eines schwäbischen Adelsgeschlechts mit einer vielversprechenden militärischen Karriere. Als Nina und Claus von Stauffenberg sich 1929 auf einem Ball kennenlernen, sind sie verliebte junge Menschen auf dem Weg in ein märchenhaftes Leben.

Doch der Lauf der Geschichte will es anders: Aus der Mutterkreuzträgerin und dem Wehrmachtsoffizier werden Regimegegner und Verschwörer. Das Schlimmste für ihn: Deutschlands Zusammenbruch. Für sie: der Verlust ihres geliebten Mannes. Trotzdem lässt Nina von Stauffenberg ihrem Claus die Freiheit, zu tun, was er tun muss. Doch das bedeutet, dass sie ihn nach dem 20. Juli 1944 nie wiedersehen und alles verlieren wird …(Verlagsinfo) 

Der Roman erzählt die Geschichte der jungen Nina und des etwas älteren Claus von Stauffenberg und beginnt mit ihrer Liebe und Zuneigung, die nicht ohne Hindernisse war. Beide waren starke Persönlichkeiten ihrer Zeit - zielstrebig, offen für Literatur und Kunst, gebildet und politisch nicht unkritisch.

Es ist eine tragische, dramatische Liebesgeschichte ohne Happy End. Charlotte Roth lässt abwechselnd verschiedene Personen zu Wort kommen - Claus, Nina, die Mutter Stauffenbergs - und diese Perspektiven tragen immer eine emotionale Note. 

Die Zeitfenster schildern die Jahre 1933-1944 - von der Weimarer Republik über die Machtergreifung Adolf Hitlers bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs, dessen Verlauf und die Verbrechen der Nazis die Offiziere in den Widerstand treiben. Die Verfasserin hat diese Ereignisse, den Überfall auf Polen, die Nichtangriffspakte, die beginnende Stigmatisierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, die Lebensmittelknappheit, die Niederlage von Stalingrad, in ihre Arbeit einfließen lassen.

Im Mittelpunkt steht die Gefühlswelt der Stauffenbergs. Die Ängste, die Hoffnungen, die zeitlichen Entbehrungen der Liebenden, die Geburt der Kinder. Wie sie wirklich gefühlt und empfunden haben - das ist natürlich nicht belegt - aber Charlotte Roth gibt diesen Emotionen viel fiktiven Raum, der alles andere als unrealistisch ist.

Obwohl Stauffenberg Offizier ist und die Machtergreifung Hitlers eher positiv sieht, schlägt sein moralischer Kompass gegen sein Gewissen und lässt ihn immer mehr daran zweifeln, auf der richtigen Seite zu stehen. Der anfängliche Idealismus und auch Enthusiasmus wandeln sich in Abscheu, Ekel vor sich selbst, Gewissensbisse und münden schließlich darin, sich den Verschwörern anzuschließen. 

Der andere Teil des Romans zeigt Nina und Claus als Eltern und als Liebespaar, das sich bedingungslos vertraut und füreinander da ist. Das Klischee einer romantischen Liebesgeschichte wird klar verarbeitet, ohne zu schnulzig zu werden.

Historisch gesehen hat Charlotte Roth großartige Arbeit geleistet. Viele persönliche Feinheiten und Ereignisse wurden sehr, sehr gut in die Handlung eingearbeitet. Das macht „Die Stauffenbergs“ auch zu einem historischen Roman. Es ist eine „fiktive Geschichte“, aber es könnte so gewesen sein, vielleicht war es so. 

Die Ereignisse des 20. Juli werden natürlich auch thematisiert, sind aber nicht Hauptbestandteil der Geschichte.

Dennoch ist der Roman auch eine Botschaft an uns selbst - dass die Verbrechen der Nazis nicht in Vergessenheit geraten dürfen und dass wir kritisch, selbstbewusst und aktiv gegen rechte politische Lager vorgehen sollten.

Fazit

Ein fiktives Denkmal zweier Menschen, deren Liebe und Zuneigung in Zeiten von Krieg, Verbrechen und Angst auch mutig und selbstlos ist. Erzählerisch spannend, unterhaltsam und von einer solchen Emotionalität geprägt, dass man, wenn man vom 20. Juli 1944 spricht, auch diesen Roman lesen sollte.


Michael Sterzik

Montag, 5. August 2024

Ferryman - Der Tod ist nur der Anfang - Justin Cronin


Dystopien sind ein beliebtes Thema. Für den Autor ist die Entwicklung einer Geschichte mit diesem Hintergrund eine grüne Wiese, auf der er fröhlich alle Ideen ausleben kann, seien sie noch so abwegig und surreal.

Der amerikanische Autor Justin Cronin hat schon mit seiner erfolgreichen „Passage-Reihe. Jetzt hat der Schriftsteller mit „Ferryman – Der Tod ist nur der Anfang“ einen neuen Roman veröffentlicht. 

Die Inseln von Prospera liegen in einem riesigen Ozean, idyllisch abgeschieden vom Rest der Menschheit. Die Bewohner genießen ein unbeschwertes Leben voller Privilegien, umsorgt von dienendem Hilfspersonal. Neigt sich die Lebenszeit der Prosperaner dem Ende zu, werden sie auf eine geheimnisvolle Nachbarinsel geschickt, um dort neu gebootet zu werden und ein weiteres Leben zu beginnen. Proctor Bennett ist der Fährmann, der die Prosperaner dorthin geleitet. Er hat seine Arbeit nie in Frage gestellt, bis er eines Tages eine kryptische Nachricht erhält. Sie bestätigt, was er insgeheim immer befürchtet hat – denn sie birgt eine Wahrheit, die das Schicksal der Menschheit auf ewig verändern wird ...(Verlagsinfo) 

Beginnen wir die Besprechung mit der Information, dass es sich nicht um einen Thriller handelt. Der Titel lässt sich dem Genre Fantasy und Science Fiction zuordnen. 

Dieser Einzeltitel ist jedoch nicht vergleichbar mit der vorangegangenen Trilogie.

Regional spielt die Geschichte auf „Prospera“. Eine große Trauminsel, die von einer undurchdringlichen Barriere geschützt wird. Drohnen verfolgen jede Annäherung an diese hochmoderne, gesegnete und idyllische Insel. Die Bewohner sind Menschen - isoliert von der Außenwelt und scheinbar sorglos durch Verträge aneinandergebunden, fristen sie ein tristes, langweiliges Dasein. Nur wenige der dort lebenden Menschen fragen sich nach dem Sinn des Lebens, woher sie kommen, wohin sie gehen und was es außer dieser Insel noch gibt! Auf der Schattenseite des Lebens leben die sozial eher Ausgegrenzten, die Verlierer, die Verzweifelten, die Dienstboten usw. - sie leben auf einer Parallelinsel, dem „Annex“.  

Es gibt keine biologische Reproduktion. Die Wiedergeburt erfolgt, wenn ein Systemmonitor im Arm sagt, dass es Zeit für eine „Erneuerung“ ist. Wer will schon krank und alt werden? Es ist, als ob man auf eine „Fähre“ geht und frisch und munter zurückkommt, aber ohne Erinnerung an das alte Leben!

Damit sind wir bei der Hauptfigur dieses insgesamt verwirrenden Titels angelangt: „Proctor Bennett“ - ein „Fährmann“, ein systemtreuer Bürokrat, der die Auserwählten auf die „Fähre“ bringt. Doch in ihm kommen Zweifel auf und wilde Erinnerungsszenen - Echos genannt - wie Eindrücke aus einem früheren Leben. Als Proctors über 120 Jahre alter Vater sich weigert, die Fähre zu betreten, eskaliert die Situation und damit die Gegenwart, die Vergangenheit und sowieso die Zukunft unseres Helden.

Bis dahin war „Ferryman – Der Tod ist nur der Anfang“ ein spannender und interessanter, unterhaltsamer Titel. Danach wird der Schalter auf: „Verwirrung“ und Orientierungslos gedreht und die spannende Unterhaltung ist abgesagt. 

Es folgen verwirrende regionale und zeitliche Sprünge, diverse Wiederauferstehungen machen die Geschichte nicht besser. Inhaltlich kommt es zu erzählerischen Längen, die weder die Geschichte vorantreiben, noch diese „Welt“ anschaulich und schlüssig erklären. Justin Cronin schreibt dann so verwirrend, wie ich es selten erlebt habe und ich habe mich ständig gefragt, warum das so ist - eine Antwort darauf habe ich auch nach Beendigung des Titels nicht erhalten.

Was ist Wirklichkeit? Was ist Traum? Das weiß man erst am Ende - aber man fragt sich ernsthaft nach dem Warum. 

Nach einem Muster schickt der Autor dann auch die anderen Haupt- und Nebenfiguren auf eine verwirrende, irrwitzige Reise ohne Erklärungen. Manche mögen es komplex nennen - ich würde es eher als eine Art orientierungslosen Rausch ohne Tiefgang bezeichnen.

Fazit

Es hätte eine tolle Novelle werden sollen - ziehen wir mal fünfhundert Seiten ab, dann wäre es spannend geworden. So kann ich den Roman nicht empfehlen.

Michael Sterzik