Samstag, 21. Januar 2023

Das Protomolekül - James Corey

 


The Expanse“ – Diese Buchreihe ist von amazon prime hervorragend umgesetzt worden. Bei dieser Buchadoption merkt man, dass die beiden Autoren, die unter dem Pseudonym „James Corey“ diese Reihe verfasst haben, ebenfalls an der filmischen Umsetzung beteiligt sind. Science Fiction – die von einer wahrscheinlichen Entwicklung nicht weit entfernt sein dürfte. Neben der intensive und spannenden Handlung wurde auch viel Wert darauf gelegt – die technische Physik und die Naturgesetze nicht allzu fantastisch darzustellen. Beraten wurden die Autoren von Wissenschaftlern der NASA – für die Buchreihe und die Fernsehserie.

Die bisher 9-teilige Buchreihe ist derartig komplex, dass viele Hintergrundinformationen und Figuren nicht die Möglichkeit hatten, ein Blick zurück in ihre Vergangenheit werfen zu können. Viele Handlungsfelder sind zwar konzentriert erklärt – doch am Ende blieben dann doch noch viele Fragen offen. Das vorliegende Buch: „Das Protomolekül“ versucht diese erzählerischen und chronologischen Lücken etwas aufzuarbeiten. Die acht Kurzgeschichten bringen bekannte Figuren wieder ins Expanse-Universum zurück mit einem interessanten und kurzweiligen Blick hinter ihre persönlichen Kulissen.

Unser Sonnensystem, die nahe Zukunft: Ein linientreuer Offizier der UN-Weltraumflotte muss zusehen, wie aus einem Kampfeinsatz ein Massaker wird – und er zum Mitschuldigen. Auf dem Mars hat ein Ingenieur eine geniale Idee und testet einen völlig neuen Raumfahrtantrieb – mit ungeahnten Folgen. Und auf einem Planeten jenseits des Sonnensystems versucht ein Gouverneur, Recht und Ordnung herzustellen – und muss erkennen, dass die Zivilisation, die zu bringen er gekommen ist, auf dieser Welt bereits existiert, nur in anderer Form. (Verlagsinfo)

Nicht alle dieser kurzen Novellen sind qualitativ so spannend wie die Buchreihe selbst, doch spannend und vor allem informativ sind sie allemal. Ob es nun um die Gürtler geht, um die politischen und militärischen Spannungen mit der Mars-Kolonie, oder dem Epstein-Antrieb und nicht zuletzt den Ereignissen auf der Anderson-Station – das Massaker, das Fred Johnson zu verantworten hat – manch kleiner Kreis schließt sich somit.

 „The Expanse“ ist zu einem Meilenstein in diesem Genre geworden. Ein Klassiker – der ohne fantastische Aliens daherkommt, ohne mit unrealistischen technischen Möglichkeiten und Entwicklungen zu spinnen. Diese erzählerische Klasse überzeugt gerade, weil sie sich realistisch anfühlt. Vielleicht ist „The Expanse“- die Buchreihe und die filmische Umsetzung ein Geheimtipp – in jedem Fall lohnt es sich, sich damit zu befassen, auch für Leser und Filmliebhaber, die mit dem Genre Science Fiction nicht vertraut sind.

Fazit

Für jeden Fan dieser Reihe ist das Buch ein Titel, den er lesen sollte. Er komplimentiert diese Reihe um so mehr.

Michael Sterzik

 

 

Montag, 9. Januar 2023

Das dunkle Lied der Toten - Ben Creed


Am Ende des Zweiten Weltkrieges begann auch der Wettlauf um das technische Wissen brillanter deutscher Wissenschaftler. Die alliierten Siegermächte überredeten, erpressten und bedrohten die führende Akademiker-Elite für sie zu arbeiten. Die Waffenforschung, die Medizin, technische Ideen und Entwicklungen – die Jagd nach genau diesem Wissen war die größte Belohnung für den Blutzoll, den sie in all den Jahren entrichten mussten.

Die Nachkriegszeit war für die Russland auch eine Zeit der „Säuberung“. Politische innere Feinde, Randgruppen, Intellektuelle und Künstler – es gab keine Grauzone. Entweder war man für den Personenkult „Stalins“, oder nicht? Letzteres bedeutete den Tod, oder die fürchterlichen Straflager im Gulag, wobei dieser schlimmer sind als ein schneller Tod. Diese Straf- und Arbeitslager bedeutete volkswirtschaftlich zu viel für Russland. Förderung von Bodenschätzen und Metallen, die Häftlinge bauten, Verkehrswege und Kraftwerke und vieles mehr. In diesen starben ca. 2,7 Millionen Häftlinge unterschiedlicher Nationen, natürlich waren auch Kriegsgefangene darunter, oder ethnische Minderheiten.

Das Autorenduo „Ben Creed“ verarbeitet das Leben und Sterben in einem dieser Lager im vorliegenden, zweiten Roman der Leningrad-Reihe: „Das dunkle Lied der Toten“.

Der erste Band: „Der kalte Glanz der Newa“ war ein Überraschungserfolg und erinnerte stellenweise sehr an den Klassiker „Gorki Park“ von Martin Cruz Smith.

Die Hauptfigur Leutnant Revol Rossel überzeugte durch eine hohe Beobachtungsgabe und einem gewissen leidenschaftlichen und später verhängnisvollen Ehrgeiz.

Winter 1953: In der weißen Hölle eines sibirischen Gulags ist der ehemalige Leutnant Revol Rossel dem Tod näher als dem Leben, als er überraschend gerettet wird – ausgerechnet von dem Mann, den er mehr als jeden anderen hasst: Major Nikitin. Seinetwegen wird der virtuose Geiger Revol nie wieder eine Violine halten können.

Zusammen mit der Fliegerin Tanja Vasilievna sollen Revol und der Major in Leningrad einen Killer stoppen, der den Leuten wie ein rachsüchtiger Geist aus einem slawischen Märchen erscheint. Er schneidet seinen Opfern die Zunge heraus und ersetzt sie durch eine Papierrolle mit italienischen Versen.

Der Fall ist allerdings mit einem weitaus tödlicheren Rätsel verknüpft, das die Verschwörer in Stalins Kreml um jeden Preis lösen wollen: Im fernen Berlin führt eine verschlüsselte Nachricht zu jenem brillanten Nazi-Physiker, der den Bauplan für die Wasserstoffbombe kennt …(Verlagsinfo)

Russlands Tragödie ist die stille Traurigkeit, die verzweifelte Hingabe an die politische Ideologie und Führung der Staatenlenker. Die Partei, dass kommunistische Leitbild – kommt zuerst, dann der Glaube, dann ggf. die Familie. Russland bedeutet auch eine Melancholie ohne Exit, eine Akzeptanz, die ggf. aus einer Gewohnheit und einem Grundstein der Angst herführt. Das Autorenduo fängt atmosphärisch genau diese Stimmung ein, das Buch ist förmlich durchtränkt von einer selbstauferlegten Traurigkeit und Verzweiflung.

Besonders gut erzählt ist der Part im Arbeitslager, in der sich der gefallene, ehemalige Leutnant Revol wiederfindet. Das Reich des Gulags eröffnet sich dem Leser mit einem brutal erzählten Realismus. Mithäftlinge, die getötet werden, um deren Leben bei einem Kartenspiel unter herrschenden Dieben gespielt wird. Enthaltsamkeit was Nahrung, medizinische Versorgung und Kleidung angeht. Hygiene – dafür ist mal selbst verantwortlich und sich selbst nicht zu schade, einen toten Freund und Mithäftling wenige Minuten später auszurauben und zu entkleiden. Alles ist kostbar – alles an Kleidung, Güter usw. Jedes falsche Wort, eine Geste, ein Blick könnte das Ende bedeuten. Vielleicht ist der Tod am Grenzzaun doch gleichbedeutend mit der Erlösung?!

Die Schilderung der Serienmorde und die Ermittlungen dazu sind ebenfalls gut, aber manchmal ziehen sich diese auch unerwartet in die Länge. Die natürliche und logische Konsequenz, dass die Politik hier involviert ist, liegt auf der Hand und ist keine Überraschung. Die Hoffnung, dass (Über)Leben im Lager hinter sich gelassen zu haben, ist der Motor für Leutnant Revol, ganz egal, dass er Hand in Hand mit Major Nikitin ermitteln soll – der Mann, der ihn gefoltert hat. Diese verschwörerische und verschworene Schicksalsgemeinschaft ist packend erzählt und man fragt sich immer wieder, wer wird das Duell am Ende dieser geplanten Trilogie noch leben ?!

Die politische Stimmung, die Kultur von Russland um 1953 ist fantastisch intensiv erzählt. Schauplatz ist aber nicht nur das „fremde“ Russland, sondern auch noch ein ungeteiltes Berlin, das Kriegsgefangenengefängnis Spandau in der man auch einem charismatischen Albert Speer, der helfen soll, einen alten Code zu entschlüsseln.

Diese Rückblicke in die Vergangenheit sind neben den Beschreibungen des Gulags der Höhepunkt des Romans.

Fazit

Eine spannende Zeitreise in ein konsequent dunkles Russland. Die Hoffnung ist der Leuchtturm aller Figuren, die (über)leben wollen. Martin Cruz Smith – hat einen Nachfolger gefunden. Ben Creed.

Michael Sterzik

Samstag, 31. Dezember 2022

Blutmond - (Harry Hole Band 13) von Jo Nesbo

 


Der 13. Band „Blutmond“ des norwegischen Autors ist im Ullstein Verlag erschienen. Damit geht die Reihe des Kult-Ermittlers Harry Hole weiter. Schon einige Male dachte man, dass die Reihe ein spektakuläres Ende findet, doch totgesagte leben bekanntlich länger. Einer der bekanntesten Titel dieser Reihe – „Schneemann“ wurde verfilmt, allerdings mit mäßigem Erfolg. Als Spielfilm sind die einzelnen Bücher schwer cineastisch zu übersetzen. Als Fernsehserie dagegen mit verschiedenen Staffeln wäre die Reihe bestimmt ein großer Erfolg – nur welcher Schauspieler könnte die Hauptfigur „Harry Hole“ überzeugend und authentisch spielen. Genau das wäre die größte Herausforderung.

Harry Hole ist als Mensch und Polizist selbstzerstörerisch. Am Anfang dieser legendären Reihe ist er Hauptkommissar im Dezernat für Gewaltverbrechen in Oslo. Als einer von wenigen norwegischen Kriminalbeamten durchlief er beim amerikanischen FBI eine Ausbildung im Bereich Verhörmethoden und Schusswaffen und spezialisiere sich dort auf die Methodik von Serienmördern.

Seine brillante Intelligenz hilft ihm zwar beruflich, aber privat zweifelt er immer wieder stark an sich selbst. Als schwerer Alkoholiker kommt er mit Kollegen und Vorgesetzten immer in Konflikte und seine einzelgängerischen und oftmals Disziplinlosigkeit machen den Umgang schwer mit ihm. Seine Fälle und die Konfrontation mit den Tätern nehmen ihn auch physisch mit, psychisch kann er alles mehr oder minder mit dem Alkohol in Kombinationen verarbeiten. Seine Beziehung zu Frauen ist sehr ambivalent und die Juristin Rakel Frauke – die Liebe seines Lebens wird ermordet. Harry Hole kann die Umstände des Mordes aufklären, der Täter richtet sich selbst, sein Ziel allerdings, Harry Hole zu zerstören hat er fast geschafft.

Der Anfang des Romans „Blutmond“ startet in der Stadt der Engel.

Harry Hole hat alle Brücken hinter sich abgebrochen. In Los Angeles trinkt er sich als einer der zahllosen Obdachlosen fast zu Tode. Hin und wieder hilft er Lucille, einer älteren Filmdiva, die einem Drogenkartell eine Million Dollar schuldet.

Zur gleichen Zeit werden in Oslo zwei Mädchen ermordet. Beide feierten auf der Yacht eines stadtbekannten Immobilienmaklers. Kommissarin Katrine Bratt fordert Harry Hole an, doch die Führungsetage der Polizei hat kein Interesse an dem Spezialisten für Mordserien. Der Makler hat weniger Skrupel und bietet Hole als privatem Ermittler ein Vermögen, um seinen Ruf zu schützen.

Hole willigt ein, denn er sieht eine Chance, Lucille freizukaufen, und sucht sich ein Team, bestehend aus einem Kokain-dealendem Schulfreund, einem korrupten Polizisten und einem schwer an Krebs erkrankten Psychologen. Die Zeit läuft, während über Oslo ein Blutmond aufzieht. (Verlagsinfo)

„Blutmond“ ist das Ende einer Ära von Harry Hole, vielleicht ein Meilenstein und schlussendlich könnte es sich als Neuanfang darstellen. Die Story ist originell, vielleicht kann man sie auch als abgefahren bezeichnen. Die Morde sind nicht brutal geschildert, viel skurriler verhält sich der Serienmörder, der merkwürdig und erschreckend mit den Trophäen seiner Opfer kommuniziert. Die Grausamkeit des Täters ist enorm – seine Intelligenz hoch und damit ähnelt er seinem Kontrahenten Harry Hole.

Wie immer spielt als Nebengeschichte Harry Holes Privatleben eine gewisse Rolle und gewährt kurze Rückblicke in die Vergangenheit seiner Person. Genau diese Ereignisse tragen viel dazu bei, dass sich Harry Hole wiederfindet, wenigstens phasenweise. Er gilt als ein sprunghafter Charakter und einen starken Rückhalt kannte er bis dato nur in seiner Beziehung zu Rakel Frauke. Mit ihrem Tod zerschellte seine Seele. Es wird interessant sein, wie sich das ggf. in späteren Romanen auswirken könnte.

Einige Personen aus den vergangenen Titeln sind ebenfalls dabei und ein Nebencharakter stirbt. „Blutmond“ ist spannend, aber gehört nicht zu den stärksten Bänden dieser Reihe. Vielmehr ist er ein Orientierungspunkt, vielleicht ein Neuanfang für Harry Hole dessen Karriere als Ermittler und seine Entwicklungen als Mensch noch genügend Potenzial für weitere Roman geben sollte.

Dass der Roman auch aus der erzählerischen Perspektive des Täters geschildert wird, ist großartig und treibt die Spannung und den Unterhaltungswert an. Damit bekommen auch die Opfer eine Stimme und sind nicht einfach stille anonyme Beteiligte.

Fazit

Eine Serie, die mörderisch spannend ist. Harry Hole ist zurück und reanimiert sich selbst. Ein neuer Orientierungspunkt für den polarisierenden Ermittler und Menschen.

Michael Sterzik

Samstag, 24. Dezember 2022

Rachejagd - Gequält - Stevens & Suchanek


Ein Gewaltverbrechen – der Täter wird verhaftet, vielleicht flüchtet er auch noch, das Opfer überlebt, vielleicht körperlich unversehrt – doch die Psyche dieses Menschen lässt sich nicht einfach wieder auf den Ursprungszustand zurücksetzen. Also zurück auf „0“ – alles verdrängt, vergeben, vergessen – findet mal so gar nicht statt. Viele Menschen erholen sich nicht – trotz aller therapeutischen Behandlungen, mit der man versucht die verletzte Seele zu reparieren. Posttraumatische Störungen können sich immer wieder einstellen – ein Geräusch, ein Geruch, eine situative Ähnlichkeit und schon findet man sich wieder in einer schrecklichen Zeitschleife gefangen, die mitunter eine seelische Qual ist.

Depressionen, Schamgefühl, Hilflosigkeit und vielleicht trägt man sich auch damit sein Leben zu beenden, um endlich dem Schmerz und der Angst zu entfliehen. Ein Überleben kann schrecklicher für das Opfer sein, wie der physische Tod.

Das Autorenduo Stevens & Suchanek greifen diese Themen in ihrer neuen Trilogie auf. Im Heyne Verlag ist nun der erste Band „Rachejagd – Gequält“ veröffentlicht worden.

Vor drei Jahren wurde Journalistin Anna Jones zusammen mit ihrer Freundin Natalie entführt und von ihrem Peiniger Edward Harris auf vielfache Art gequält. Anna konnte fliehen, Natalie starb. Diese Schuld verfolgt Anna bis heute. Als sie einen blutbefleckten Brief erhält, wird schnell klar: Edward Harris ist zurück. Nick Coleman, Annas Jugendliebe und FBI-Agent, nimmt die Ermittlungen auf. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Zane Newton, der Profilerin Lynette McKenzie und Nick versucht Anna herauszufinden, was Harris vorhat. Ein perfides Spiel beginnt, bei dem nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Ein Spiel, das nicht nur für Anna tödlich enden könnte. Ein Spiel, das nur ein Ziel hat: Rache.(Verlagsinfo)

Der erste Band ist eine rasante Jagd nach dem Täter, nach einer Aufarbeitung, nach einem „Warum“, einer Rache und Vergeltung. Doch wofür das alles? Bringt es die Toten zurück? Kann es den Schmerz der Vergangenheit auflösen? „Rachejagd – Gequält“ ist viel Action, viele Irrungen, Wendungen, Überraschungen, denen man begegnet, allerdings ist es manchmal etwas zu übertrieben und Logik und eine vernünftige, nachvollziehbare Strategie sich dieser Bedrohung zu stellen gibt es nicht.

Spannend und unterhaltsam ist dieser Roman – aber weit davon entfernt, realistisch zu sein. Es ist ein wenig wie „Gute Zeiten – schlechten Zeiten“ , wobei die schlechten Zeiten dramatisch überwiegen.

Die Action steht hier als Platzhirsch auf der erzählerischen Bühne. Klassische Ermittlungsarbeit des FBI wird nicht thematisiert. Die Ermittlungsgruppe, eine hochintelligente Profilerin, ein IT-Nerd, ein FBI-Agent zwischen Liebe, Vernunft und Pflicht, und ein ehemaliges Just-in-Time-Opfer, die wirklich anstrengend ist. Dieses Quartett soll also den Fall lösen – ohne weitere Hilfe von Behörden etc.? Schöne Räuberpistole, die sich hier vorstellt. Die Charakterzeichnung der Figuren ist ein großer Kritikpunkt, denn sind nicht mehr als oberflächlich entworfen, mit dem einen oder anderem Klischee kombiniert. Einzig und allein die Profilerin zeigt ein gewisses Profil und scheint auch ein Profi zu sein – allerdings ist dilettantisch in die Story eingebaut.

Die Story wird aus mehreren Perspektiven erzählt, leider viel zu wenig aus Sicht des Täters, das hätte der Spannung und vor allem der Tiefe gutgetan. Es wäre ein Duell auf Augenhöhe – hier ist nur ein actionreicher Schlagabtausch – schnell – hart – und vor allem stark übertrieben und unrealistisch.

Es kommt halt auch immer darauf an, mit welcher Erwartungshaltung man ein Buch aufschlägt. Ein intelligenter Thriller ist „Rachejagd – Gequält“ niemals – Popcornunterhaltung auf Papier. Unterhaltsam, locker und leicht – aber mag einen auch zu packen.

Kommen wir zum letzten und allergrößten Kritikpunkt. Was hat eine „Liebesgeschichte“ in einem derartigen Actionthriller verloren? Die Figuren „Nick“ und „Anna“ , eine Jugendliebe, die sich jetzt auch Jahre später noch nicht erwachsen anfühlt. Unweigerlich denkt man dabei, dass die beiden beim Untergang der Titanic zu dämlich gewesen wären, dass es auch nur einer auf diese Tür im eisigen Meer geschafft hätte. Verliebt sein – ja oder nein – eine Komödie in mehreren Akten – Ausgang ungewiss. Wertung: Absolut überflüssig.  

Die Reihe könnte trotzdem gut werden – weil die Geschichte einer Rache und Vergeltung interessant konzipiert ist. Die Frage nach dem: Warum? Weshalb? Wieso?  - rettet den Roman und motiviert den Leser mindestens auch nach Band 2 zu greifen.

Fazit

Unterhaltsam und spannend und die dunkle Seite ist interessanter und vielseitiger, vor allem nicht so langweilig wie die „Guten“. Hier gibt es viel Luft nach „oben“. Der zweite Band muss hoffentlich logischer und ruhiger sein. Mehr psychologische Raffinessen bitte – als sein oder Nichtsein, oder mache ich das jetzt, oder auch nicht.

Michael Sterzik

Sonntag, 18. Dezember 2022

Zerteilt - Michael Tsokos


True-Crime – Kriminalfälle aus der realistischen Perspektive eröffnen dem Leser erzählerisch eine neue Sicht auf die Ermittlungsarbeit, die Atmosphäre von Tatorten und an der Seite von Dr. Michael Tsokos stehen wir auch in den Räumen der Rechtsmedizin. Das Leben schreibt bekanntlich die besten Geschichten und damit werden auch Themen wie der Tod und das Sterben rechtsmedizinisch hervorragend erklärt und beschrieben. Doch True Crime blickt auch hinter die Kulissen von Ermittlungsbehörden und beschreibt diese nicht nur als Beamte, sondern auch als fühlende Menschen, die Verbrechen, die Toten und die Angehörigen vielleicht auch seelisch nicht mehr loslassen. Es gibt viele Aspekte des Genre „True Crime“ die damit die Ereignisse nicht überzeichnen, glorifizieren oder sich in Klischees verflüchtigen.

„Zerteilt“ von Michael Tsokos ist der fünfte und abschließende Band der erfolgreichen Bestseller-Reihe um den Rechtsmediziner Dr. Fred Abel. Einige Bände sind inzwischen auch erfolgreich und gut umgesetzt, verfilmt worden.

Berlin wird von einer Reihe islamistischer Anschläge erschüttert. Ein Attentäter attackiert Menschen in Aufzügen – wiederholt, mit eskalierender Gewalt. Dabei agiert der Unbekannte so geschickt, dass keine Überwachungskamera ihn zeigt, keine Zeugen ihn beschreiben können.
Rechtsmediziner Fred Abel, stellvertretender Leiter der rechtsmedizinischen BKA-Einheit „Extremdelikte“, obduziert mit seinem Team unter Hochdruck die Opfer der Anschläge. Können die Verletzungen der Getöteten Rückschlüsse auf den Täter geben?  Unterdessen schwebt die frühere Lebensgefährtin seines besten Freundes Lars Moewig in akuter Lebensgefahr. Marie wurde Zeugin eines eiskalten Mordes, und trotz Polizeischutz in einem Safe House entgeht sie nur um Haaresbreite einem Mordanschlag. Abel ist sich sicher, dass sich ein Maulwurf in den eigenen Reihen befindet, der ihm und Moewig immer einen Schritt voraus ist.
 
In seinem letzten Fall muss Rechtsmediziner Fred Abel nicht nur sein gesamtes rechtsmedizinisches Können, sondern auch sein langjähriges kriminalistisches Wissen aufbieten, um die Täter zu finden und das Morden zu stoppen. (Verlagsinfo)

Atmosphärisch bewertet ist „Zerteilt“ vielleicht der intensivste Band dieser Reihe. Die Kriminalfälle sind nicht der Fokus der Story. Die Charaktere, die sich mit ihrem jetzigen Leben und den Ereignissen der Vergangenheit beschäftigen, tragen dazu bei, dass dieser Band sich von den anderen unterscheidet. Sein, oder Nichtsein – Gedanken, mit denen sich Dr. Abel beschäftigt in Anbetracht, dass er bald Vater wird. Ein Scheideweg, aber kein Ausweg für ihn. Andere bekannte Figuren sind ebenfalls im Ensemble vertreten, und das jeder an einer bestens choreografierten Stelle.

Die Spannung ist solide und mehrgleisig aufgeteilt. Der islamische Anschlag und die Clan-Kriminalität, die schon in den letzten Bänden eine tragende Rolle gespielt hat, bilden die Kernelemente. Sehr originell, allerdings wie Michael Tsokos diese Handlungsstränge zusammenführt. Dramatisch wird es auch, und von einer Nebenperson muss sich der Leser für immer verabschieden.

Die beigefügten Informationen, die die Handlung noch verstärken, sind beachtenswert, also etwas Allgemeinwissen, auch wenn es um Rechtsmedizin, oder es sich um die Einwanderungspolitik Italiens handelt, schaden ja nicht. Im Gegenteil, gerade auch diese Details tragen viel dazu bei, dass diese Reihe großartig ist. Dabei handelt es sich nicht nur um medizinische Details und Prozesse während einer Obduktion, sondern vielmehr auf die Erklärung von kriminellen Elementen und der Ermittlungsarbeit der polizeilichen Behörden.

Am Ende des Romans, gibt es doch noch einige offene Fragen und die einzelnen Handlungsstränge sind nicht abgeschlossen, und einige Figuren befinden sich und das scheint auch beabsichtigt zu sein, in einem literarischen Wartezimmer des Autors.

Michael Tsokos beendet diese Buchreihe mit Netz und doppelten Boden und lässt auch nach einer guten Beendigung dieser Reihe gleich mehrere Türen offen. Die eine oder andere Person werden wir in kommenden Büchern sicherlich wiedersehen.

Fazit

Michael Tsokos hat mit dieser Reihe viel dazu beigetragen, dass True Crime erwachsen geworden ist. Unterhaltung und Informationen im Einklang. Bravo.

Michael Sterzik

Freitag, 16. Dezember 2022

Schneegrab - Michelle Paver


Die Berge – besonders die 8000er im Himalaya umgibt eine Aura der Mystik. Im Sonnenschein erscheinen sie uns majestätisch, bedrohlich und wir begegnen ihnen mit einem gewissen Respekt. Für jeden Bergsteiger und Alpinisten, mit einer gewissen Erfahrung bedeutet der Aufstieg, sich und den Berg zu besiegen. Doch jede Expedition ist trotz aller technischen Hilfsmittel, spezieller Kleidung und ggf. auch Kommunikation ein Wagnis unter Lebensgefahr. Die Bewohner, die am Rande dieser Berge leben, erkennen diese Naturgewalt und nicht wenige bezeichnen diese als „lebende“ und „denkende“ Persönlichkeiten.
Man mag darüber schmunzeln, aber ein Berg sollte man mit gebührendem Respekt begegnen – je näher man dem Gipfel kommt und man sich der Todeszone nähert, erfährt man, was „Angst“ bedeutet. Das Wetter kann in wenigen Minuten umschlagen, erbarmungslose Winde, die Temperatur sinkt, ein Sturm kommt auf, eine Lawine löst sich und verschlingt die Abenteurer, oder man stellt fest, dass man dem Berg nicht gewachsen ist…es gibt unzählige Gründe, dass ein Aufstieg scheitern kann.
Der Schauplatz dieses Romans ist der Kangchenjunga im Himalaya. Für viele Menschen umgibt diesen Berg ein Fluch. Die Geister verstorbener Bergsteiger führen andere in einen schrecklichen Tod, begraben unter Eis und Schnee, viele Leichen wird man niemals mehr finden, einige verbleiben für immer am Berg und markieren den Weg zum Gipfel.
Der Himalaya, 1935: Fünf Engländer brechen von Darjeeling aus auf, um den heiligen Gipfel des dritthöchsten Berges der Welt zu bezwingen. Je höher sie kommen, desto gespenstischer wird die Atmosphäre. Die Stimmung zwischen den Männern, vor allem zwischen den sehr ungleichen Brüdern Stephen und Kits, droht zu kippen. Immer klarer wird: Der Berg ist nicht ihr einziger Feind.
Während der Wind abflaut, wächst das Grauen. Gezeichnet von den Schrecken der extremen Höhe stoßen die Männer auf ein unheimliches Geheimnis aus der Vergangenheit, das nicht im Schnee begraben bleiben will … (Verlagsinfo)
„Schneegrab“ von Michelle Paver ist eine fiktive Geschichte, die wunderbar von Erfolg und Scheitern erzählt. Die Atmosphäre umfasst die Freundschaft einer Schicksalsgemeinschaft, die Liebe und Konkurrenz unter Brüdern, die Überschätzung der eigenen Kräfte und auch die Unterschätzung des Berges schlechthin.

Michelle Paver schreibt sehr eindrucksvoll. Leise Töne verwandeln die Handlung in einem Sturm der Spannung, die Dramatik steigert sich, je näher der Gipfel kommt. Die erzählerische Tiefe transportiert die Strapazen der Bergsteiger, die Ängste vor dem eigenen Versagen sehr bildgewaltig. Die Nächte in Eis und Schnee, das heulen des Windes, dass man auch als verbitterte Schreie nach Hilfe interpretieren kann – all diese Beschreibungen gehen unter die Haut.
Genau diese Stimmungsmache, das Aktivieren der Emotionen der Leser passt zu jedem Zeitpunkt.
Die Handlung umfasst Ereignisse der Vergangenheit, die sich nachhaltig bis in die gegenwärtige Besteigung auswirken. Schuld und Sühne können größer sein als der Berg selbst. Nicht nur die Besteigung wirkt thematisiert – gerade das Zusammenspiel, die Spannung unter den beiden ungleichen Brüdern nimmt viel Raum ein, und das so sensibel, dass die Zwischentöne perfekt dargestellt werden.
Viel Zeit nimmt sich die Autorin, um von den Sherpas und ihren Aufgaben, ihrer eigenen Lebensart und ihrer Religion und Glauben zu schreiben. Diese Detailtreue setzt sich dann auch in der Beschreibung und Methodik des Aufstiegs fort.
Die Figuren sind hervorragend beschrieben – ob nun tot, oder lebendig, oder irgendwas dazwischen. „Schneegrab“ kann man auch als geistreiche Gruselgeschichte beschreiben, mit viel erzählerische Tiefe, einer großartigen Sensibilität und einer hohen Dramatik.
Es spielt keine Rolle, ob diese Geschichte jetzt fiktiv ist, eine Legende den Kern dieser Geschichte darstellt, die Summe all dieser Handlungsstränge ist ein Roman, der stark erzählt ist und verdammt gute Unterhaltung bietet. Was man am Ende des Romans inzwischen glauben soll, löst die Autorin sehr geschickt – denn das kann sich der Leser selbst ausmalen.
Hervorzuheben ist der Ausdruck und der Stil, den die Autorin Michelle Paver einsetzt. Man fühlt sich in die Handlung versetzt und kann so an den Erfolgen und Misserfolgen der beiden Brüder teilnehmen.
Fazit
Ein tiefsinniges, sensibles Buch, dass durch eine hohe Spannung und eine tiefgehende Sensibilität überzeugt. Man möchte gar nicht mehr aufhören, zu lesen. Absolut zu empfehlen.

Sonntag, 11. Dezember 2022

Geisterschrein - Andreas Gößling


Gibt es eine „Liebe“, die den Tod überdauern kann, oder kann sich auch „Hass“ wie ein Fluch über die Grenzen von Raum und Zeit hinwegsetzen? Mit der Quantenphysik müssen wir umdenken, wenn wir über Materie, Dimensionen und Realitäten sprechen wollen. Es gibt ohnehin mehr unbefriedigte Fragen und noch viel mehr unglaubliche Antworten, die wir uns im Ansatz zwar theoretisch vorstellen können, aber praktisch unser jetziges Wissen noch aushebelt.

Energie – kann sie jemals verloren gehen, oder transformiert sich diese nur zu einem anderen Zustand? Wir sind wahrscheinlich alles andere als nur pure Materie aus Fleisch, Blut und Wasser usw. – aber das schlussendlich zu begreifen, dazu sind wir noch nicht bereit, oder wollen es auch nicht.

Der Bestsellerautor Andreas Gößling schreibt neben erfolgreichen Krimis und True Crime Thriller auch Sachbücher und Artikel zum Thema der kulturellen und mystischen Geschichte. Magie und Wissenschaft – oder ist Magie nur etwas was im Laufe der menschlichen Entwicklung verloren gegangen ist!?

„Geisterschrein“ ist der neueste Roman, ein Psychothriller von Andreas Gößling und genau diese Themen bilden das Fundament der Geschichte.

Pures Entsetzen erwartet Grete Reiter, als sie frühmorgens in der Suite eines Bangkoker Hotels erwacht: Miko, der mysteriöse Thailänder, in den sie sich nach nur einer Nacht rettungslos verliebt hat, wird eben aus dem 12. Stock in den Tod gestürzt. Grete flüchtet panisch zurück nach Deutschland, ebenso aus Furcht vor dem Mörder wie davor, dass man ihr den Mord anhängen könnte.
Wochen später mitten in Berlin. Unvermittelt steht Grete Mikos exaktem Ebenbild gegenüber: dem Archäologen Lenny Mong, der einem uralten Geheimnis auf der Spur ist - einem Kult, der zu unglaublichen Dingen imstande gewesen sein könnte. Auch dazu, die Grenze zwischen Leben und Tod zu überwinden? Entgegen aller Vernunft wächst in Grete die Überzeugung, dass Lenny Miko ist …(Verlagsinfo)

Wer sich mit diesen Themen noch niemals befasst hat und auch wenig mit Religion, Philosophie etc. anfangen kann, für den wird dieser Roman allzu verstörend sein. Den Sinn und die Botschaft der vorliegenden Handlung bleibt ihm verschlossen.

„Geisterschrein“ ist anstrengend zu lesen und das ist auch sehr der Hauptfigur „Grete Reiter“ zu verdanken. Sie könnte glatt einen Oscar für ihren Auftritt verlangen – in der Kategorie „Panikmache, Selbstbetrug und psychologische Labilität – andere literarische Konkurrenten hätten hier keine Chance.

Ihre Handlungen wirken immer recht abrupt – wilder Aktionismus vorherrschend. Das intelligente 1x1 von Ursache und Wirkung, und überhaupt von Auswirkungen auf überhastete Entschlüsse katapultieren sie fortwährend in eskalative Situationen. „Exit“ ausgeschlossen. Das mag unterhaltsam sein, doch authentisch ist es zu keinem Zeitpunkt. Die Handlung setzt sich auch von Krise zu Krise zusammen. Ein kurzes Luftholen gibt es nicht. Die Vermengung von Vergangenheit – Gegenwart – und Zukunft machen es nicht einfacher, der Story zu folgen.

Psychologischer Thriller sind schwierig zu schreiben. Andreas Gößling weiß, wovon er schreibt, wenn auch sein wissenschaftlicher und paranormaler Ansatz eher in einem Sachbuch besser platziert gewesen wäre, wie in einem Thriller zwischen den Welten.

Die Handlung wirkt und ist absolut verfahren – dass liegt wie oben beschrieben an der Hauptfigur „Grete Reiter“ – die absolut unlogisch und unglaubwürdig handelt und das über die gesamte Storyline. Ihr erzählerischer Raum nimmt auch so viel ein, dass alle anderen Figuren förmlich eliminiert werden.

All das nimmt der Handlung fast alles an Spannung. Alles läuft neben der Spur – alles querfeldein, ohne wissenschaftlich vielleicht etwas tiefer zu gehen. Die Ausgewogenheit zwischen Aberglauben und Wissenschaft ist in einer unbeschränkten Schieflage.

Fazit

„Geisterschrein“ ist ein wilder, psychologischer Rodeo Trip bei dem der Leser schnell abgeworfen wird. Aufsteigen empfohlen – aber überzeugende Unterhaltung bringt er nicht rüber. Schade. Dafür lese ich dann die lieber wissenschaftliche Artikel von dem Autor, die mich eher ansprechen.

Michael Sterzik