Die DDR gehört zur deutsch-deutschen Geschichte. Ein marxistisches, kommunistisches System, dass im Kalten Krieg zwischen den damaligen Großmächten, der USA und der Sowjetunion, eine wesentliche Rolle spielte. Der Klassen- und Systemfeind der BRD steht stellvertretend für eine koordinierte und systematische Kontrolle ihrer Bevölkerung. Mit allem Mitteln wurden alle Register gezogen, alles an kriminelle Energie aufgewendet, um ein idealistisches, politisches System durchzusetzen. So, oder so war es zum Scheitern verurteilt – auch die Führung wusste es, sie bediente sich gerne aus dem Warenkorb des Westens und verdrängte den Schrei nach Freiheit – der immer lauter wurde. Jetzt 33 Jahre später gibt es noch immer den Schatten dieses Staates in den Köpfen vieler Bewohner. Es wird noch Generationen benötigen, bis Vorurteile, Vorbehalte und Klischees aus dem Weg geräumt sind. Wer waren diese Menschen, die systemtreu Verbrechen verübten? „Das zweite Geheimnis“ von Titus Müller ist der zweite Band der Trilogie, die dieser furchtbaren Beziehung zweier Bruderstaaten eine Stimme gibt.
„Die fremde Spionin“ – spielt kurz vor dem Mauerbau – der
vorliegende spielt im Jahr 1973 – die Weltfestspiele der Jugend werden in der
DDR ausgetragen. Diese „Tor“ zum Westen ist auch für die DDR ein Versuch, an
Prestige zu gewinnen. Mit dem Wohle der Jugend, der sportlichen Fairness und
der Freiheit hat es weniger zu tun. Titus Müller erzählt die Geschichte von Ria
Nachtmann und ihrer Familie konsequent weiter. Die ehemalige Spionin
reaktiviert sich selbst, nachdem ihr Schwager, ein Grenzsoldat auf der Flucht
angeschossen und nun inhaftiert wurde. Auch ihr innerer Drang sich an dem
Regime zu rächen ist nicht gänzlich verschwunden, aber die Liebe zu einem
westdeutschen Journalisten und die Schwierigkeiten mit ihrer Tochter Annie
lassen sie ein zweites Mal zwischen die Fronten der beiden deutschen Lände
kommen.
Zwölf Jahre nach dem Mauerbau führt Ria Nachtmann ein
weitgehend angepasstes Leben in Ostberlin. Niemand würde vermuten, dass sie
einst als Spionin für den Bundesnachrichtendienst aktiv war. Nur eines hat die
Jahre überdauert: ihre Liebe zu Jens, einem westdeutschen Journalisten. Doch
Verbindungen mit dem Klassenfeind sind streng verboten. Als Ria ein geheimes
Treffen arrangiert, wird sie bereits beobachtet. Ein gefährliches
Katz-und-Maus-Spiel beginnt ...(Verlagsinfo)
Titus Müller gibt dieser Epoche eine bildgewaltige, auch brutal
ernste Atmosphäre. Themen wie Folter in der Haft, Verhör- und
Beschattungstechniken, die erpresserische Manipulation von Freunden und
Familienmitglieder, der Verrat usw. spielen wichtige Rollen in dem vorliegenden
Roman. Natürlich wird auch das Doping thematisiert und sowieso die Hintergründe
und Methoden dieses Systems angesprochen. Für viele Leser sind diese
geschichtlichen Aspekte und Details schwer zu verstehen. Sie sind nicht nur
spannend und unterhaltsam, insgesamt sind diese auch emotional aufwühlend.
Besonders die erzählerische Perspektive einer Stasi-Agentin die verbissen Rita
jagt, um diese zu entlarven – ist unglaublich intensiv beschrieben.
Titus Müller erzählt auch von Spionage und Gegenspionage –
von gefährlichen Unternehmungen und Situationen, die ggf. Lebensgefährlich
sind, aber mit Sicherheit zu einer langen Haftstrafe führen könnten. Neben der
Stasi-Agentin, lässt auch Rias Schwager – der verräterische Grenzsoldat, ein
ehemaliger Offizier tief in seine Seele blicken. Seine Verzweiflung, sein
Begreifen seines eigenen Versagens lassen auch die Szenen um Rita etwas in die
zweite Reihe driften.
Neben der Unterhaltung sind die Charaktere erstklassig
konzipiert. Haupt- und Nebenakteure bilden ein komplexes Gesamtkonstrukt, das
jeglicher Erwartungshaltung entsprechen sollte. Wie schon im ersten Band kommen
auch historische Ereignisse und Personen.
Die Guillaume-Affäre, der wohl politisch bedeutsamste
Spionagefall wird, hier erzählt. Günter Guillaume war einer der engsten
Mitarbeiter im Bundeskanzleramt unter Willy Brandt. Ein DDR-Agent im
Kanzleramt. Das Leben schreibt eben doch die besten Geschichten.
„Das zweite Geheimnis“ ist atmosphärisch ungemein gut. Beim
Lesen entstehen allerhand Fragen, auf die Titus Müller noch keine Antwort gibt.
Wer waren diese Menschen bei der Stasi – die linientreu Verbrechen begingen?
Was machen diese wohl zu Zeit und wie gehen diese mit ihrer Vergangenheit um.
Diese Trilogie wird viele Menschen dazu animieren, hinter den eisernen Vorgang
der DDR zu schauen. Sie werden erstaunt sein, sie werden überrascht sein, sie
werden sich erschrecken.
Titus Müller erzählerischer Stil ist großartig.
Konzentriert entwirft er gleich mehrere Spannungsbögen und jongliert damit
fehlerfrei. Der dritte Roman dieser Reihe erscheint im Mai 2023 und wird im
Jahre 1989 spielen – der Fall der Berliner Mauer, der das Ende der DDR
einläutet und wenig später zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten
führt.
Im Nachwort geht Titus Müller auf die historischen
Ereignisse ein und bietet dem Leser damit viele, sehr interessante
Hintergrundinformationen.
Fazit
„Das zweite Geheimnis“ ist ein Echo der deutsch-deutschen
Vergangenheit. Spannende Unterhaltung mit viel Emotionen, die unter die Haut
gehen. Diese Trilogie gehört zu den wichtigsten Romanen in diesem Jahr.
Pageturner.
Michael Sterzik