Samstag, 4. März 2023

Tödliche Allianz - Tom Clancy/Marc Cameron


Die Reihe um „Jack Ryan“ geht mit Band 25 – Tödliche Allianz weiter und dessen Story ist aktueller denn je. Die Reihe ist sowieso dafür bekannt – jedenfalls zu Lebzeiten eines Tom Clancys, dass die erdachten Geschichten, sagen wir, sich fast prophetisch erfüllt haben. Natürlich leicht abgewandelt, aber dennoch konnte man gewisse Parallelen feststellen.

Die literarischen Erben, die diese Reihe weiterführen, sind darauf bedacht, sich wie Tom Clancy selbst mit aktuellen politischen und militärischen Krisenherden zu beschäftigen. Die Zeit der „Terroristischen Anschläge“ in der Welt sind scheinbar erstmal ausgesetzt. Die Taliban in Afghanistan – der Nahe Osten – zwar noch immer ein schwellender Unruheherd, aber es gibt wohl brisanter Themen, die die Weltbevölkerung in Atem halten. Das atomare Schreckgespenst ist wieder da und rasselt inzwischen sehr laut mit unzähligen Drohungen.

Die „Weltpolizei“ Amerika zeigt sich inzwischen wieder als der große Bruder eines mehr oder minder starken Verbündeten Europa. Können wir es uns so einfach machen vor dem Hintergrund, dass die nuklearen Großmächte mit einem Feuer spielen, dass die ganze Welt verbrennen könnte. Provokation – Aggression – Beschwichtigungen – Bündnisse und viele Lügen, Halbwahrheiten und manipulative Propaganda. Der „kalte Krieg“ mit seinen Agenten und Spionen ist zurück, nur dass die Temperatur weniger abgekühlt sein mag.

Im vorliegenden Roman spricht der Autor Marc Cameron von einem Russland, das im Begriff ist, die Ukraine anzugreifen. Ebenfalls befasst sich ein Teil der Story mit dem Iran und seiner politischen Auffassung von Meinungsfreiheit.

Präsident Jack Ryan kämpft an allen Fronten: Während es innenpolitisch in den USA hoch hergeht, rückt in Osteuropa Russland in die Ukraine vor. Dann gelangen zwei russische Atomraketen in den Iran. Hängt beides miteinander zusammen? Und was hat die neue iranische Rebellenbewegung damit zu tun? Die gibt sich zwar zunächst als Verbündeter aus, macht sich jedoch schnell höchst verdächtig. Langsam entwirren sich die Fäden eines perfiden Komplotts: Die globale digitale Kommunikation soll durch einen massiven Anschlag zerstört werden. Mit vereinten Kräften versuchen der Campus und Präsident Ryan die ultimative Katastrophe abzuwenden. Und die Uhr tickt ...(Verlagsinfo)

„Tödliche Allianz“ besinnt sich etwas und kommt der spannenden Unterhaltung, dem „Geist“ eines Tom Clancys sehr nahe. Die „alten“ Feinde der Welt – Russland werden wieder zum aktuellen Kontrahenten der USA. Ebenfalls spielen wie gesagt der Iran die inaktive Rolle eines Verbündeten Russlands und diese lassen sich traditionell instrumentalisieren. Die „Spannung“ teilt sich in zwei Lager auf – bzw. zwischen zwei Jack-Ryans. Der amerikanische Präsident wehrt sich innenpolitisch gegen eine Senatorin und außenpolitisch begegnen ihn eine „Geiselnahme“ in Kamerun und einer atomaren Bedrohung durch den Iran, dem Russland zwei Atomraketen verkauft/geschenkt hat. Sein Sohn „Jack Ryan jr. übernimmt wie immer den actionreichen Part des Romans. Seine „Lizenz“ zum Töten ist immer noch in Kraft und er geht eine Allianz mit einem russischen Spion und einer Agentin des Irans ein. Ein sehr unterschiedliches Trio – mehr oder minder auf der Flucht und immer wieder der Griff zur Waffe. Die Diplomatie überlässt er seinem Vater – und dieser Part ist der intensivste und interessanteste. Die Actionsequenzen sind zwar unterhaltsam, aber wenig spannend. Dafür wurden sie in den letzten Bänden fast schon inflationär verwendet und haben den Romanen die letzte erzählerische Tiefe genommen.

Phasenweise gelingt es dem Roman erstklassig zu sein. Aber auch, nur wenn Jack Ryan Senior im Weißen Haus „War Games“ spielt und mitunter sich stark rhetorisch bewaffnet mit Präsidenten anderer Länder unterhält. Diese Szenen sind absolut stark erzählt und geben uns auch inhaltlich einen Einblick in das Machtzentrum der USA.

Der schwächste Part ist, wenn sein geheimdienstlicher Sohnemann „James Bond“ spielt. Hier fehlt es an jeder Stelle an Originalität und Abwechslung. Da hilft es auch nicht, sich in technischen Waffendetails zu verrennen, die für die Story überflüssig sind.

Also bitte in Zukunft weniger Action, sondern vielmehr sollte eine Spannung erzeugt werden durch politische Themen – und auch hier egal, ob es um innenpolitische Schwierigkeiten handelt, oder die USA mal wieder die „Freie Welt“ retten müssen. Jack Ryan Senior verstand es in seiner Zeit als Feldagent und Analyst der CIA beides zu kombinieren. Diese Ausgewogenheit würde ich mir wieder wünschen.

Fazit

Ein starker Teil der Reihe. Weniger Action – mehr politische Spannung. In Zukunft würde es reichen, Jack Ryan Senior die Hauptrolle spielen zu lassen. Sein Sohn könnte sich bitte eine literarische Auszeit nehmen.

Michael Sterzik

Freitag, 24. Februar 2023

Spur 33 - Christa von Bernuth


 „True Crime“ hat sich inzwischen im Genre Krimi/Thriller vollumfänglich etabliert. Das wahre Verbrechen zeigt uns viele Gesichter des Todes. Es führt uns aber auch menschliche Tragödien vor Augen, nicht nur Spuren von Blut oder detailliert beschrieben Leichen. Viele Romane schildern auch die Ermittlungsmethoden, und lassen es zu, dass wir die „Bullen“ (Polizisten) auch als führende, manchmal leidende Menschen sieht. Viele können nicht vergessen, was sie gesehen, oder erlebt haben. Viele opfern sich ggf. auf, um das „Böse in Person“ zu finden, den Eltern eine erlösende Nachricht zu überbringen, oder den Opfern eine Stimme zu geben. Es gibt so vieles, was diese Menschen antreibt.

Lassen Sie uns auch über die Täter sprechen in diesen Romanen. Es sind nicht die klassischen bösartigen Menschen, deren moralischer Kompass nicht mehr einwandfrei funktioniert, nicht Täter, denen jegliche Menschlichkeit fehlt. So einfach sieht das Leben und Sterben nicht aus. Die Täter könnten auch ehemalige Opfer sein, verlorene Seelen, oder Menschen die töten und verletzen um sich zu rechnen. Auge um Auge – Zahn um Zahn – eine biblische Rache – ja auch so etwas kommt vor. Auch das ist „True Crime“.

Die Münchnerin Autorin Christa von Bernuth hat im Verlag Goldmann den Titel: „Spur 33“ veröffentlicht, der auch auf einer wahren Begebenheit fungiert.

Ein grausames Verbrechen erschüttert die Stadt am See: Die angesehene Familie Rheinfeld wird nachts in ihrem Haus regelrecht hingerichtet. Der Verdacht fällt auf den heranwachsenden Sohn Leon, der erst seine Eltern und dann sich selbst getötet haben soll. Er war psychisch krank und – zur Verzweiflung seiner machtlosen Eltern – fasziniert von Waffen. Doch dann stellt sich heraus, dass Leons enger Freund Ben in den Fall verstrickt zu sein scheint: die ermittelnden Polizisten entdecken auf seinem Handy ein Video der drei Leichen. Stimmt seine Aussage, dass er einen Amoklauf verhindern wollte, den Leon geplant hatte? Oder handelt es sich gar um einen Auftragsmord? Je tiefer die Ermittler graben, desto unglaubliche Erkenntnisse bringen sie ans Licht. Bis sie auf Spur 33 stoßen ...(Verlagsinfo)

Interessant an diesem Roman ist nicht nur der Kriminalfall, nicht nur der Mord an einer Familie, sondern die verschiedenen Perspektiven der Figuren zeigen uns Menschen in ihrer ganzen Verzweiflung, in einer tiefen Traurigkeit und Hilflosigkeit. Täter wie Opfer sind keine einfachen, unsympathischen Figuren. Sie suchen nach einem „Leuchtturm“ in ihrem Leben, ein führendes Licht, dass ihnen ihren persönlichen Weg zeigen soll. Die Autorin transportiert absolut perfekt viele Emotionen, die die Figuren sehr tiefgreifend in ihren denken und handeln darstellen. Die Opfer sind ebenfalls Täter – ihr Versagen als Elternteil, das Versagen jeglicher Vernunft um auch schwierige Herausforderungen zu lösen – diese Fehler und Fehleinschätzungen und führen zu einer Explosion vieler Eskalationsspiralen.

Viel Intensität investiert Christa von Bernuth auch, die Kriminalbeamten komplex darzustellen. Auch diese Perspektiven machen aus dem Roman „Spur 33“ viel mehr als nur einen Spannungsroman mit hohem Unterhaltungswert.

Die Autorin zielt auch darauf ab, dass wir uns mit uns selbst beschäftigen. Wie hätten wir uns verhalten als: Opfer, Täter, Mitwisser, als Elternteil, als Polizist, als Freund/in, als Ehepartner usw. Genau diese verschiedenen Perspektiven verstärkt, die sowieso gegenwärtige Spannung, die immer präsent sind.

Es ist eine spielerische Manipulation unserer Emotionen – und das gelingt der Autorin verdammt gut, wenn man als Leser bereit ist, sich nicht nur berieseln zu lassen, sondern auch „mitzuspielen“. Das gelingt nur wenigen Autoren. Glückwunsch also.

Was mich etwas gestört hat, dass bei dieser Komplexität, die Autorin in keinem Nachwort auf diesem Kriminalfall eingeht, oder was sie selbst dazu bewegt hat, so tief in die Geschichte einzutauchen. Das war etwas unvollendet.

Fazit

Intelligente Spannung – Tragische Figuren und der Leser als Voyeur dabei, der angestoßen wird an dieser Handlung teilzuhaben. Prädikat: Ein Titel, den man lesen sollte – wenn man gerne zu „True Crime Büchern“ greifen möchte.

Michael Sterzik

 

Freitag, 17. Februar 2023

Die Edelweisspiratin - Michaela Küpper


Die Rollenverteilung einer Familie in der NS-Zeit war festgelegt, für das Volk, für das Vaterland und dem Führer. Der Ehemann, ein starker, loyaler Mann, der sein Vaterland verteidigte und für den Erhalt und den Ausbau der Nazi-Diktatur lebte und kämpfte. Seine Ehefrau spielt die pflichtbewusste, tradierte Rolle der liebenden Frau und Mutter der gemeinsamen Kinder, ohne großartig eine eigene Meinung haben zu dürfen. Ihre Pflicht war es, eine treusorgende Ehefrau zu sein, ihren Ehemann zu dienen und möglichst viele Kinder in die Welt zu setzen. Die Kinder wurden schon früh in ein für die Nazis Rollenbild gepresst. Hitlerjugend – und Bund deutscher Mädchen – vorbereitet auf Krieg und Fürsorge – konditioniert für den Glauben an Deutschland. Religiöse, kulturelle oder moralische Werte wurden genauso vergewaltigt, wie der Geist und die Seele der deutschen Bevölkerung.

Der vorliegende Roman von Michaela Küpper spielt in der Domstadt Köln in den Jahren zwischen 1933 – und dem Kriegsende 1945. Der Roman ist zum Teil fiktiv, greift aber auch die chronologischen Ereignisse einiger Personen zu. Die Hauptfigur: Gertrud “Mucki” Koch, geborene Kühlem, war neben ihren Eltern eine Frau, die „Widerstand“ leistete. Ihre Mutter und ihr Vater waren Verfechter kommunistischer Ideale und wuchs mehr, oder minder in einem politischen, familiären Umfeld auf. Schon in der Wohnküche bekommt die junge Mucki Werte vermittelt, die nur wenige Jahr später mit den Werten der Nazis kollidieren. Freie Meinungsäußerung – Menschenrechte, Presserecht, freie Berufswahl…in den 30er-Jahren wurde diese „Gesetze“ unterminiert und diktatorisch umgestaltet. Der „freie Wille“, das freie denken und handeln führte schnell in die Keller der Gestapo, oder wenig später in die Arbeits- und Konzentrationslager.

Köln im Sommer 1933: Die SA stürmt die Wohnung der Familie Kühlem, die dafür bekannt ist, regelmäßig kommunistische Treffen abzuhalten. Gertrud und ihre Tochter Mucki lässt man zunächst in Ruhe, doch Peter Kühlem wird ins Braune Haus verschleppt. – wo erst einen Tag zuvor eine Freundin und Genossin zu Tode kam. und muss später als "Moorsoldat" in einem Arbeitslager um sein Leben bangen.
Trotz ihrer Sorge um Peter hält Gertrud jetzt erst recht an ihrem Kampf für eine bessere, gerechtere Welt fest. Als die Herrschaft der Nazis immer erdrückender wird, schließt Mucki sich den »Edelweißpiraten« an, einer Gruppe Jugendlicher, die im Widerstand aktiv ist und immer größere Risiken eingeht …(Verlagsinfo)

Sprechen wir vom „Widerstand“ in der NS-Zeit, dann fallen uns unweigerlich Namen ein wie die Geschwister Scholl, die weiße Rose – ein Symbol des intellektuellen „Nein“ zur Gewaltherrschaft der Nazis. Doch es gab auch viel andere unangepasste Jugendliche, die ihre Welt infrage stellten – das manchmal sehr laut, auch sie verteilten Flugblätter, schrieben Parolen der Wahrheit auf die Wände von Häusern, oder lehnten sich in den Strukturen der Hitlerjugend und der Bund deutscher Mädchen auf. Diese oppositionelle Haltung verlangte viel Kraft und Mut. Sie war lebensgefährlich – für alle Mitglieder und Freunde in ihrem persönlichen Umfeld.

Michaela Küpper gibt diesen alten Stimmen und Erinnerungen eine nachhaltige Möglichkeit „laut“ zu sein. Die Schicksale von „Mucki“ und ihrer Familie sind berührend und geben uns einen umfassenden Eindruck der alltäglichen Angst, mit der diese lebten. Auch die Scham, die Hilflosigkeit und die Verzweiflung helfen zu wollen, aber nicht zu können, werden thematisiert. In kleinen Schritten jedoch lehnen sich diese mutigen Menschen auf, sie helfen mit Kleinigkeiten, mit Waren, die von Herzen gegeben werden, von kleineren Funken „Menschlichkeit“ in einer dunklen Welt. Die Autorin beschreibt den Niedergang der Nazis, die panik machende Angst von Bombenangriffen, die Rationierung von Lebensmitteln usw., die Vernichtung der Stadt Köln und das Sterben von Freunden und Familienmitgliedern.

Konsequent und authentisch beschreibt die Autorin von Einschüchterung und Folter in den Kellern der Gestapo. Es sind tief berührende Szenen, mit denen sie uns konfrontiert. Die erzählerische Perspektive wechselt von der Mutter zur Tochter und lässt uns teilhaben an Verlusten, an Ängsten, aber auch an Hoffnungen und einen starken Willen zu überleben.

Dies sind die besonderen Szenen, in denen die Figuren begreifen, wie wertvoll „Freiheit“ war, wie ungemein glücklich sein konnte, eine liebende Familie und Freunde um sich zu haben und letztlich wie schön es war, ohne eine gegenwärtige, präsente Angst zu haben.

„Die Edelweisspiratin“ ist kein Buch, das nur aus der Sicht des Widerstandes gegen das Regime des dritten Reiches erzählt wird. Es ist keine „Hurra-wir-leben-noch-Story“, sondern die Autorin lässt uns teilhaben an der Gefühlswelt einer starken Mutter und eines mutigen Mädchens.

Michaela Küpper übertreibt es aber zu keinem Zeitpunkt mit ihren Schilderungen, es wird nichts beschönigt, oder theatralisch dramatisiert. Als eine spannende Geschichte kann man „Die Edelweiss Piratin“ nicht bezeichnen – aber die Story reißt den Leser unterhaltsam mit in einem Strudel der Angst und Hoffnung.

Atmosphärisch ist es manchmal zu nüchtern und zu schnell erzählt. Manche Szenen sind inhaltlich sehr detailliert, andere dagegen leider viel zu wenig.

Fazit

„Die Edelweisspiratin“ entert voller Mut, das Schiff der Ängste und der Hoffnungslosigkeit. Ein Buch, das den Überlebenswillen einer Familie zeigt. Damit zeigt das Buch auch ein Spiegelbild einer verlorenen Jugend, die den Mut hatte, Widerstand zu leisten. LESEN.

Michael Sterzik  

Donnerstag, 16. Februar 2023

Der SS-Staat - Eugen Kogon


Über die NS-Zeit, dieses unglaubliche dunkle Kapitel unserer Vergangenheit, und die unsere Urgroßeltern, wirft noch immer einen dunklen Schatten über unseren Staat. In unzähligen Dokumentationen wurde das „Grauen“ medial verarbeitet, aber auch in Filmen thematisiert, die den Opfern des Nationalsozialismus ein Gesicht und eine Stimme geben.

Wir alle verbinden mit dem Holocaust die Vernichtungslager der NS-Diktatur. Die Konzentrationslager, die vieles waren, viel mehr als der eine, oder es vermuten mag. Sie waren eine Maschinerie des Todes. Prozesse, die nur dafür entwickelt worden sind, um Menschen effektiv zu töten. Diese Menschen waren Juden, Kriegsgefangene, Regimegegner, verschiedene Volks- und Randgruppen – ihnen allen wurde eine Zukunft geraubt.

Im vorliegenden Sachbuch: „Der SS-Staat“ von Eugen Kogon geht der Autor, der selbst in Gefangenschaft war, auf die detaillierten Kosmos der Konzentrationslager ein. Aber er geht auch darauf ein, wie das Regime ihre Morde rechtfertigte und sich organisierte. Seine Beschreibungen der Abläufe von den ersten KZ´s bis zu den detaillierten Abläufen der körperlichen und psychischen Folter, über medizinische Experimente und die Hierarchie der Lagerleitung usw. – es ist ein Offenbarungseid von beispiellosen Verbrechen.

Als bekennender Gegner des Nationalsozialismus wurde Eugen Kogon im September 1939 in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert, wo er bis 1945 inhaftiert blieb. Nach seiner Rettung war er als Chronist für die US-Army tätig und arbeitete parallel an einem Manuskript, das er mehrmals vernichten wollte, so furchtbar war sein Inhalt. 1946 veröffentlichte er das Buch »Der SS-Staat« dann doch – eine umfassende Darstellung der KZ-Gräuel und die erste historische Analyse des NS-Terrorsystems. Dieser einzigartige Bericht stützt sich nicht nur auf 150 Einzelprotokolle, sondern auch auf Kogons eigene Erlebnisse als KZ-Inhaftierter. Erschütternd, präzise und schonungslos wird hier eines der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte beschrieben, dass die Öffentlichkeit zum ersten Mal mit einer bis dahin für unvorstellbar gehaltenen Wirklichkeit konfrontierte. Ein historisches Werk ersten Ranges, das bis heute weltweit als Standardwerk zu den NS-Verbrechen gilt. (Verlagsinfo)

Das Buch wurden in den 70er Jahres des letzten Jahrhunderts von Eugen Kogon verfasst. Dessen Schreibstil ist nüchtern, komplex und sehr, sehr verschachtelt, dass es schwer ist manchen Aussagen inhaltlich zu folgen. Eugen Kogon verfängt sich auch in vielen Details und Beschreibungen, die völlig überflüssig sind.

Die Inhaltsangabe gibt dem Leser allerdings die Möglichkeit sich gut zu orientieren, wenn er sich für Schwerpunkte interessiert.

Beim Lesen stellt sich immer wieder die grausame Frage, wie es dazu kommen konnte? Sicherlich wussten viele Menschen von den Fabriken des Todes, aber Angst lähmte sie, oder akzeptierten sie den industriellen Massenmord an Millionen. Jahrzehnte wieder werden wir keine abschließende Antwort darauf finden, und wer schon älter ist, weiß, dass die Ur-/Großeltern über diese Themen, oder überhaupt den Krieg aktiv nicht mehr gesprochen haben. Es wurde und zum Teil ist es noch immer ein tabuisiertes Thema.

Emotional interpretiert, nimmt der schreckliche Inhalt in den Köpfen des Lesers die Gestalt eines Schreckgespenstes an. Wir leugnen die Geschehnisse nicht, doch wie gesagt, fehlt das Begreifen dieser Verbrechen. Dieses ON/Off des moralischen Kompasses – das Aussetzen jeglicher Menschlichkeit und Nächstenliebe – es ist noch immer unbegreiflich.

„Der SS-Staat“ von Eugen Kogon ist ein Sachbuch, auf das man sich „einlassen“ muss – aber auch nur dann, wenn man sich wegen eines Studiums, oder wegen grundlegenden Interesses damit befassen möchte.

Würde man die inhaltlichen Fakten heute erzählen, so würde sicherlich mehr Emotionalität eingebaut sein. Manchmal sind diese grausamen Details viel zu nüchtern erzählt.

Fazit

Ein umfassender Einblick in die Maschinerie des industriellen Mordes. Sachlich – kühl – nüchtern. Ein Echo aus der Vergangenheit, dass den Opfern eine Stimme gibt. Ein Mahnmal – dass so etwas niemals wieder geschehen soll – nicht in Deutschland, oder in einem anderen Staat.

Michael Sterzik



 

 

Dienstag, 14. Februar 2023

Buchtipp: Früher war mehr Verbrechen - Nina Batram und Katharina Kolvenback

Buchtipp: "Früher war mehr Verbrechen - von Nina Batram und Katharina Kolvenbach.


Haben wir wirklich dazugelernt? Sind wir vernünftiger geworden? Nicht mehr ganz so kaltblütig, oder sagen morden wir zivilisierter?
"Früher war alles besser"?! Kann man sehen wie man will, aber werfen wir mal mit dem vorliegenden Buch ein Blick in die Vergangenheit. Historische Kriminalfälle und das durch einige Jahrhunderte hinweg. Mit viel Ironie erzählen die Autoren von "Verbrechen" - an die man sich ggf. erinnert.
Perfide Mord-Komplotte, grausame Hexen-Verfolgung oder blutige Dienstmädchen-Morde: Die Prähistorikerinnen Nina Batram und Katharina Kolvenbach versammeln in ihrem ersten True-Crime-Buch spektakuläre Fälle, darunter sowohl die besten Folgen aus dem Podcast als auch exklusive historische Kriminalfälle, die noch nicht im Podcast diskutiert wurden. Die Autorinnen berichten von spannenden historischen Verbrechen und deren Hintergründen, skizzieren mögliche Lösungen weit zurückliegender Cold Cases und die Relevanz der Fälle für die heutige Zeit - stets respektvoll, mit viel Empathie und Sachverstand - und immer auch mit einer Prise (Selbst-) Ironie.
Die einzelnen Fälle wurden gründlich recherchiert. Die Leserinnen und Leser werden stets mit neuen Einblicken in längst vergangene Gräueltaten und Schicksalsschläge und in die jeweilige Epoche überrascht. Wohlbekannte, aber auch nicht geläufige Kriminalfälle werden bei diesem detailreichen Streifzug durch die Jahrhunderte unter die Lupe genommen.
Der Blick in die Vergangenheit lohnt sich, um heutige Kriminalfälle und die Psychologie der Täter besser zu verstehen. (Verlagsinfo)
Viel Spaß und gute Unterhaltung mit dieser Zeitreise.
Michael Sterzik


Samstag, 11. Februar 2023

Der Kriminalist - Tim Sullivan


 Es gibt immer wieder Menschen mit besonderen Inselbegabungen und Talenten, die uns faszinieren, verwundern und manchmal können wir diese auch nicht erklären. Menschen mit dem Asperger-Syndrom haben eine neuronale Störung – es ist eine besondere Form des Autismus. Ihre Wahrnehmungen von Situationen und die Verarbeitung verschiedener Reize beeinträchtigen ihr Leben. Sie sind überempfindlich und leben scheinbar in ihren eigenen Strukturen, deren Muster ihnen eine gewisse Sicherheit geben.

Doch gerade diese Menschen können Hochbegabt sein, oder eine Inselbegabung haben, z.B. ein Fotografisches Gedächtnis, mathematisches Talent für Strukturen und Muster und vieles mehr. Doch das Asperger-Syndrom lässt diese Menschen, die „andersartig“ sind, zu Einzelgängern werden, je nachdem wie stark es ausgeprägt ist.

Ihre „soziale“ Wahrnehmung der Mitmenschen ist oft mehr wie anstrengend für sie, da sie die analogen Kommunikationsformen Blickkontakt, Gestik und Mimik nicht erkennen, einordnen und definieren können. Auch sprachlicher Humor, Wortspiele, Witze, Ironie und Sarkasmus – damit können sie nicht umgehen. Das wirkt auf andere Menschen befremdlich, ungeschickt und oftmals werden sie für „Freaks“ gehalten. Diese Vorurteile, oder das Nicht-Wissen der anderen – über das Syndrom, machen diesen sensiblen und intelligenten Menschen das Leben manchmal sehr schwer.

Im vorliegenden Kriminalroman von Tim Sullivan „Der Kriminalist“ ist die Hauptperson DS George Cross, ein Ermittler der Polizei mit einer Form des Asperger-Syndroms die Schlüsselgestalt und der eigentliche Bezugspunkt der Story.

DS George Cross kann mit sozialen Konventionen nichts anfangen, für seine Kollegen ist er oft schwierig im Umgang. Doch dank seiner Besessenheit für Logik, Muster und jedes noch so kleine Detail, ist seine Aufklärungsrate die beste der ganzen Einheit. Und so hegt er sofort Zweifel, als seine Kollegen nach einem Leichenfund in einem Bristoler Park zu dem Schluss kommen, dass der Tod des Mannes die Folge eines Streits unter Obdachlosen sein muss. Cross beginnt, in der Vergangenheit des Opfers zu graben, und merkt schnell, dass es Verbindungen zu einem alten Fall gibt. Einem Mord, der fünfzehn Jahre nicht aufgeklärt wurde. Und der Täter hat nicht vor, sich nach so vielen Jahren von diesem exzentrischen Kommissar das Handwerk legen zu lassen …(Verlagsinfo)

Der Titel „Der Kriminalist“ ist wenig attraktiv gewählt – der Original-Titel „The Dentist“ wäre angebrachter gewesen. Nichtsdestotrotz ist der Roman großartig geworden. Das liegt aber nicht einer spannenden Story, sondern ist dem Hauptdarsteller DS George Cross zu verdanken. Der Autor Tim Sullivan hat mit dieser Figur einen Ermittler konzipiert, der in der gegenwärtigen Spannungsliteratur mit seiner autistischen Inselbegabung eine „Insel“ ist. Aber eine sehr attraktive, tiefsinnige und vielfältige Figur darstellt.

Kommen wir aber erst zur Story, die ist ausgefeilt und komplexer, als man es vielleicht vermutet. Wendige Überraschungen und vieles, was sich im ersten Moment als vorhersehbar bezeichnen könnte – ist es dann letztlich doch nicht. Das Ensemble der Figuren ist ebenfalls interessant – egal ob es sich um eine weitere Hauptperson handelt, oder nur eine einfache Nebenfigur ist, alle zusammen bilden ein komplex gut eingestelltes Orchester, bei dem jeder seinen Part perfekt beherrscht. Die junge Polizistin, die hoch motiviert versucht vor George Cross zu glänzen und erstmal mit ihrem wunderlichen Chef klarkommen muss. Die Partnerin von George Cross, die immer wieder zwischen den Menschen und ihm als emotionale „Übersetzerin“ fungiert und Cross immer wieder erklären muss, was die Menschen mit denen er zu tun hat, durch Gestik, Mimik oder Wortwahl eigentlich aussagen wollen. Dann gibt es noch den Vater von George Cross – eine sympathische Nebenfigur, die eine „Heimat“ für seinen Sohn darstellt.

Der eingesetzte Humor ist erstklassig und resultiert natürlich durch George Cross selbst, der halt für Smalltalk, soziale Kommunikation und zwischenmenschliche Beziehungen wenig übrig hat. Er „lernt“ zwar dazu, aber trotzdem produziert er größere und kleinere Fettnäpfchen in dieser er wie ein Dinosaurier im Porzellanladen selbstverständlich reintritt. Das wirkt sensibel, trägt einen gewissen Humor bei und ist der „Fokus“ der Handlung.

Die Dialoge sind rhetorisch toll in Szene gesetzt. Egal, mit wem auch immer George Cross spricht, wird es spannend und bietet eine Unterhaltung auf hohem Niveau. Sein Talent „, Muster“ zu erkennen und definieren machen aus dem Polizisten George Cross eine Verhörspezialisten, den man als Gesprächspartner selbst überhaupt nicht durchschauen kann. Seine Nachteile – zeigen sich also als Vorteile in dieser Art von Ermittlungen.

Tim Sullivan zeigt George Cross aber nicht nur als wunderlichen, intelligenten Ermittler, sondern auch als einen „Menschen“ der versucht Brücken zu seiner Persönlichkeit zu entwickeln. Diese Hilflosigkeit ist so wunderbar beschrieben, so sympathisch gezeichnet.

Damit ist „Der Kriminallist“ kein Ermittler von der Stange, sondern schon etwas Besonderes. Die Reihe wird fortgesetzt, so hoffe ich doch. Tim Sullivan weiß als erfolgreicher Drehbuchautor, wie man die Menschen unterhält.

Für mich ist „Der Kriminalist“ einer der Romane in diesem Jahr, der mich positiv überrascht hat. Auch wenn die Story abwechslungsreich und wirklich gut und spannend ist, so hätte diese noch besser sein können. Aber wir warten mal die weitere Entwicklung ab.,

Fazit

Ein wunderlicher, hilfloser Ermittler, der eine intelligente und humorvolle Unterhaltung bietet. Eine innovative Insel im Genre „Kriminalliteratur“ – die großartig ist.

Michael Sterzik



Samstag, 4. Februar 2023

Tanz mit dem Tod - Christian v. Ditfurth


Das Berlin der 1930 Jahre, war politisch, kulturell und sozial gesehen ein gefährlicher, unruhiger Ort. Als Machtzentrum liefen hier alle Fäden des anfänglichen, dritten Reiches zusammen. Die NSDAP, die SA, die SS – sie alle formierten sich, um ihrem Führer dienlich zu sein und um ein neues Deutschland zu erschaffen. Dafür waren diesen alle Mittel recht, sie scheuten nicht vor Mord zurück, ihre Weltordnung musste durchgesetzt werden. Ein totalitärer, verbrecherischer Staat, der in den 30-Jahren gebildet wurde, und der 1939 den zweiten Weltkrieg entfachen sollte. Die deutsche Bevölkerung war depressiv, verunsichert, in ihren Augen gedemütigt und hatte kein Ziel vor Augen. Eine hohe Arbeitslosigkeit herrschte vor, Veteranen des 1. Weltkrieges und demoralisierte Politiker waren sich uneins – einzig und allein einte sie die Verzweiflung und die Suche nach einem „Schuldigen“ für die Situation Deutschlands.

Es gab schon damals Widerstand in der Bevölkerung, sie sahen schon das schreckliche Antlitz eines neuen Krieges vor Augen, doch sie spielten fast alle mit, sie verrieten sich, ihre Mitmenschen, ihre Moral und Gerechtigkeit und Gesetzte wurden vielmehr zu Richtlinien, die nicht mehr die Kraft hatten, sich aufzulehnen.

Das vorliegende Buch von Christian v. Ditfurth „Tanz mit dem Tod“ spiegelt, die atmosphärische Angst der Menschen, aber nicht der Angst, sondern auch das verbrecherische Denken und Handeln.  

Berlin-Wedding, November 1932: Sieben SA-Männer stürmen eine Kneipe und erschießen Kurt Esser, Redakteur des KPD-Blatts »Rote Fahne«. Dem jungen Kriminalpolizisten Karl Raben gelingt es, den Anführer der Mörder, Gustav Fehrkamp, zu stellen. Doch kaum ist Hitler 1933 an der Macht, kommt Fehrkamp auf freien Fuß. Raben hat fortan nur noch einen Gedanken: Gerechtigkeit. Für sein Vorhaben geht er einen Pakt mit dem Teufel ein und arbeitet für die gerade gegründete Geheime Staatspolizei. Damit ist sein Leben in der Hand von Gestapo-Chef Reinhard Heydrich. Genauso wie das seiner Frau Lena, die jüdischer Herkunft ist. Wie kann ein Polizist für Gerechtigkeit sorgen, wenn das Unrecht die Macht ergreift?»Tanz mit dem Tod« ist der fulminante Auftakt einer historischen Krimireihe in Berlin. In den folgenden Bänden jagt Karl Raben Essers Mörder in den Zeiten des Aufstiegs und des Untergangs des Nationalsozialismus und löst den letzten Fall in der gerade gegründeten Bundesrepublik.(Verlagsinfo)

In der Geschichte begegnen wir einen Zeitgeist mit vielen Facetten und Christian v. Ditfurth öffnet die Büchse der Pandora und konfrontiert uns mit der Überlegung: „Wie hätten wir gehandelt“ – wären wir angepasste Mitläufer gewesen, oder Widerständler, denen jeden Tag bewusst ist, dass sie in Lebensgefahr sind?

Der Hauptcharakter Karl Raben vermischt sich in beidem. Sein Gerechtigkeitssinn lässt es zu, einen Pakt mit dem Teufel zu schließen. Um den Roman geschichtlich zu intensiv wie möglich zu erzählen, begegnen wir den Schlüsselgestalten des Nazi-Regimes, Heydrich, Himmler, Röhm, Göbbels – die zusammen und gegeneinander um die Gunst des „Führers“ kämpfen, und natürlich auch eine Machtposition einzunehmen. Es ist erschreckend zu lesen, wie sehr diese Figuren die Menschen um sich manipulieren, verängstigen und wie Schachfiguren auf einem politischen Schachspiel ausnutzen. Kraftvoll, sensibel und verzweifelt kämpfend zeigen sich Karl Raben und seine Frau Lena, die sich mal anpassen, müssen, um nicht in den Mühlen des Regimes zerfetzt zu werden.

Christian v. Ditfurth zeichnet ein trauriges, aber reelles Bild dieser Zeit. Man braucht etwas an Zeit, um sich mit dem erzählerischen Stil des Autors zu akklimatisieren. Und auch wenn eine gewisse Hoffnungslosigkeit in jedem Kapitel zu finden ist – berühren einen die Dialoge der beiden Eheleute Karl und Lena – die auch nicht ohne Humor sind. Gerade der Part von Lena, ist aufmüpfig, frech und frisch und sehr, sehr selbstbewusst – doch auch sie kommt an ihre Grenzen.

Das „Richtige“ tun in einer Diktatur? Sich dem „Bösen“ bedienen, um eine andere „Bösartigkeit“ zu eliminieren? Heiligt der Zweck diese Mittel – der Roman gibt keine Antworten darauf. Alles in allem ist einer der Hauptdarsteller die „Dramatik“.

Die Ideologie der Nazis, die aus dem Quadrat Heydrich, Himmler, Goebbels und Röhm spricht, lässt einen schaudern. Allein dieser machtvolle Personenkult, der diese umgibt – und keiner sieht hinter den Kulissen und erkennt die Gefahr!? Erschreckend.

Das Buch besitzt durchaus Längen, da konnte der historische Kern des Autors, den Unterhaltungskünstler einfach mal ausstechen. Insgesamt aber animiert das Ende und des Romans den Leser sehr, auch zum zweiten Band zu greifen, wenn dieser veröffentlicht wird. Christian v. Ditfurth verleiht seinen Figuren eine so inhaltliche und charakterliche Tiefe, dass es ein Vergnügen ist, mit diesen zu leiden und zu leben.

Fazit

Der Pakt und der politische Tanz mit vielen Teufeln – ein spannendes Buch mit einem nachhaltigen, erzählerischen Echo.

Michael Sterzik